Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 II 224



100 II 224

32. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Juli 1974
i.S. Aussenhandels-Finanz AG. gegen Aussenhandel AG. Regeste

    Firmenrecht. Wettbewerbsrecht.

    Art. 951 Abs. 2 OR. Anforderungen an die Unterscheidbarkeit der
Firma der Aktiengesellschaft (Verdeutlichung der Rechtsprechung;
Erw. 2). Verwechslungsgefahr im konkreten Fall bejaht (Erw. 3).

    Art. 944 Abs. 1 und 950 Abs. 1 OR. Sachbezeichnungen, die in die
Firma der Aktiengesellschaft aufgenommen werden, sind vom Nachbenützer
mit einem unterscheidungskräftigen Zusatz zu versehen (Erw. 4).

    Art. 956 Abs. 2 OR und Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG.
Unterlassungsklage. Kumulative Anwendung von Firmen- und Wettbewerbsrecht
(Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Die im Jahre 1950 gegründete Aussenhandel A.-G. mit Sitz in
Zürich befasst sich mit Import, Export, Transit von und dem Handel mit
Waren jeder Art. Die Aussenhandels-Finanz A.-G. wurde im Jahre 1971
gegründet und hat ihren Sitz ebenfalls in Zürich. Sie bezweckt die
Durchführung von Finanzierungsgeschäften aller Art, besonders auf dem
Gebiet des Aussenhandels, sowie von Transaktionen, die mit dem Hauptzweck
im Zusammenhang stehen oder diesen fördern können.

    B.- Nach einem Briefwechsel zwischen den Vertretern der beiden
Gesellschaften klagte die Aussenhandel A.-G. gegen die Aussenhandels-Finanz
A.-G. Sie beantragte, festzustellen, dass die Verwendung der Firma
"Aussenhandels-Finanz AG" durch die Beklagte eine widerrechtliche
Verletzung ihrer Firma und deren Gebrauch im Geschäftsverkehr, auf
Drucksachen, Anschriften oder sonstwie, unlauteren Wettbewerb darstellt
(Rechtsbegehren 1), der Beklagten die Fortsetzung der genannten unerlaubten
Handlung unter Androhung von Strafe nach Art. 292 StGB zu untersagen
(Rechtsbegehren 2) und sie zu verpflichten, den rechtswidrigen Zustand zu
beseitigen und ihre im Handelsregister eingetragene Firma abzuändern durch
Streichung des Bestandteiles "Aussenhandels", eventuell durch Zufügung
eines Zusatzes, wodurch sich ihre Firma deutlich von jener der Klägerin
unterscheidet (Rechtsbegehren 3).

    Das Handelsgericht des Kantons Zürich schützte am 28. November 1973
die Klage teilweise dahin, dass es der Beklagten unter Strafandrohung
verbot, die Firma Aussenhandels-Finanz A.-G. im Geschäftsverkehr, auf
Drucksachen und Anschriften weiterhin zu verwenden, und sie verpflichtete,
den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen und ihre im Handelsregister
eingetragene Firma im Sinne der Erwägungen abzuändern.

    C.- Mit Berufung an das Bundesgericht verlangt die Beklagte, es sei die
Klage abzuweisen, eventuell die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die
Klägerin beantragt, den kantonalen Entscheid zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Die Klägerin stützt ihre Begehren zunächst auf Firmenrecht
(Art. 951 OR). Das Handelsgericht beurteilt unter diesem Gesichtspunkt
die Verwechselbarkeit der Firma der Beklagten nach dem Eindruck, den sie
auf das "unvoreingenommene Publikum" bzw. das "Publikum" macht. Dagegen
wendet die Beklagte ein, massgebend sei nach der Rechtsprechung (BGE 94 II
129, 92 II 97) nicht die Anschauung des "breiten Publikums", sondern die
übliche Aufmerksamkeit in den Kreisen, mit denen die zu vergleichenden
Firmen in Geschäftsbeziehungen stehen. Demnach sei im vorliegenden Fall
auf Kaufleute, die im Import- und Exporthandel tätig sind, sowie auf
Finanzkreise abzustellen.

    Die Firma der A.-G. muss sich von jeder in der Schweiz bereits
eingetragenen Firma deutlich unterscheiden (Art. 951 Abs. 2 OR), ansonst
der Inhaber der älteren Firma auf Unterlassung des Gebrauchs der neueren
Firma klagen kann (Art. 956 Abs. 2 OR). Da die Aktiengesellschaften
ihre Firma frei wählen können, sind an die Unterscheidbarkeit strenge
Anforderungen zu stellen (BGE 97 II 235). Wie die Beklagte an sich mit
Recht einwendet, macht das Bundesgericht die Verwechslungsgefahr zweier
Firmen vorab von der Aufmerksamkeit abhängig, die in den Kreisen üblich
ist, mit denen die beiden Firmen geschäftlich verkehren (vgl. BGE 94 II
129, BGE 92 II 98 und dort erwähnte Entscheide). Dieses vom Handelsgericht
ausdrücklich erwähnte Kriterium schränkt jedoch den Firmenschutz nicht
auf wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte ein. Das Gebot deutlicher
Unterscheidbarkeit dient nicht der Ordnung des Wettbewerbes, sondern will
den Inhaber der älteren Firma um seiner Persönlichkeit und seiner gesamten
Geschäftsinteressen willen vor Verletzungen bewahren sowie das Publikum vor
Irreführung schützen. Zu diesem Publikum zählen neben den Geschäftskunden
auch Dritte, wie Stellensuchende, Behörden und öffentliche Dienste (BGE 97
II 235, 93 II 44, 92 II 96 Erw. 1). Es ist daher nicht zu beanstanden,
dass das Handelsgericht bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr der
beiden Firmen nicht allein das Unterscheidungs- und Erinnerungsvermögen
der beteiligten Handels- und Finanzkreise berücksichtigt, wie das die
Beklagte verlangt.

Erwägung 3

    3.- Die Beklagte widerspricht der Ansicht des Handelsgerichts, dass
sich ihre Firma durch den Zusatz "Finanz" von der Firma der Klägerin
nicht genügend unterscheide.

    Dieser Einwand trifft nicht zu. Es kann im Ernste nicht bestritten
werden, dass auch in der Firma der Beklagten der Ausdruck "Aussenhandel"
prägender Bestandteil ist. Der Zusatz "-Finanz" ist klanglich schwächer und
auch begrifflich nicht aussagekräftig genug, um den durch die gemeinsame
Bezeichnung "Aussenhandel" am Anfang beider Firmen erweckten Eindruck
der Übereinstimmung in der Erinnerung auszulöschen. Auch wenn er auf
eine gewisse Beschränkung oder Eigenart der Geschäftstätigkeit hinweist,
so bezieht sich diese erklärtermassen auf den Aussenhandel und fällt
damit in das angestammte Tätigkeitsgebiet der Klägerin. Das lässt die
Vermutung aufkommen, zwischen den Parteien bestehe ein rechtlicher oder
wirtschaftlicher Zusammenhang, was die Klägerin nicht hinzunehmen braucht
(BGE 98 II 65 und dort erwähnte Entscheide). Es verhält sich somit
hinsichtlich der Verwechslungsgefahr nicht anders als in den Fällen
Ecco International GmbH Zürich c. International Escort and Secretary
A.-G. (unveröffentlichtes Urteil vom 8. Mai 1974), Nordfinanz-Bank Zürich
(vormals Verwaltungsbank Zürich A.-G.) c. Nordic Verwaltungs- und Finanz
A.-G. (unveröffentlichtes Urteil vom 17. Februar 1974), Intershop Holding
A.-G. c. Interstop A.-G. (BGE 97 II 234), Uhrenfabrik Rolex A.-G. c. Rolax
A.-G. Kugellagerfabrik (unveröffentlichtes Urteil vom 4. Mai 1971) oder
Pavag A.-G. c. Bavag Bau- und Verwaltungs A.-G. (BGE 92 II 95).

Erwägung 4

    4.- Die Beklagte trägt eventualiter vor, dass ihre Firma auch
dann unverändert zuzulassen sei, wenn sie mit jener der Klägerin
verwechselbar wäre; denn sonst müsste "eine unerwünschte Monopolisierung
von Sachbegriffen Platz greifen", welche die "Suche neuer Geschäftsfirmen
wohl illusorisch werden liesse". Sie beruft sich für diese Aufassung
auf PEDRAZZINI (Bemerkungen zur neueren firmenrechtlichen Praxis,
in "Lebendiges Aktienrecht", Festgabe für Wolfhart Friedrich Bürgi,
S. 309). Dieser Autor ist der Meinung (aaO), das nach Art. 944 Abs. 1 OR
zu den allgemeinen Grundsätzen der Firmenbildung gehörende öffentliche
Interesse biete die gesetzliche Handhabe, um "Sachbezeichnungen allein",
da für diese ein Freihaltebedürfnis bestehe (Art. 944 Abs. 1), in der
Firmenbildung auszuschliessen. Die Billigung dieser Argumentation würde zu
einer grundlegenden Änderung der Rechtsprechung führen, was nicht erwünscht
(vgl. die Besprechung von BGE 97 II 234 durch KUMMER in ZBJV 109 S. 146/47)
und auch mit der geltenden Ordnung nicht vereinbar wäre.

    Nach Art. 950 Abs. 1 OR können Aktiengesellschaften unter
Wahrung der allgemeinen Grundsätze der Firmenbildung ihre Firma
frei wählen. Gemäss Art. 944 Abs. 1 OR sodann darf die Firma neben
den gesetzlich vorgeschriebenen auch Angaben enthalten, die auf die
Natur des Unternehmens hinweisen, vorausgesetzt, dass der Inhalt der
Firma der Wahrheit entspricht, keine Täuschungen verursachen kann und
dem öffentlichen Interesse nicht zuwiderläuft. Einerseits also sind
Sachbezeichnungen in der Firma von Gesetzes wegen erlaubt. Anderseits
verbietet es der Grundsatz der Firmenwahlfreiheit, dass Sachbezeichnungen
in jedem Fall, auch vom Erstbenützer, mit einem Zusatz zu versehen
sind, wie es PEDRAZZINI (aaO s. 308 und 309) alternativ anregt. Diese
Anforderung kann und muss kraft des Täuschungsverbotes (Art. 944 Abs. 1 OR)
und der Ausschliesslichkeits- und Schutzbestimmungen (Art. 951 Abs. 2 und
956 OR) nur gegenüber dem Nachbenützer einer Sachbezeichnung durchgesetzt
werden. Auch wenn das von Pedrazzini angerufene öffentliche Interesse
der Firmenbildung eine gemeingültige Schranke setzt, so ist diese nach
Wortlaut und Sinn des Art. 944 Abs. 1 OR nur als Korrektiv im Einzelfall
zu verstehen, kann also nicht Angaben in der Firma ausschliessen,
welche die nämliche Gesetzesbestimmung ausdrücklich als zulässig
erklärt. Das Freihaltebedürfnis für Sachangaben mag zwar, wenn auch
nur bedingt (vgl. KUMMER, aaO), im privaten, d.h. im wirtschaftlichen
Interesse des Unternehmers bestehen. Das öffentliche Interesse deckt
es keineswegs, sondern geht gerade mit Rücksicht auf das heutige
Wirtschaftsgeschehen (Diversifikation und Konzentration der Unternehmen)
auf klare Unterscheidung der Firmen. Dieses Erfordernis ist, wie erwähnt,
vom Nachbenützer einer Sachbezeichnung zu beachten. So gebieten es die
gesetzliche Ordnung und insbesondere ihr persönlichkeitsrechtlicher
Einschlag, den die zu einseitig auf wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte
angelegte Argumentation Pedrazzinis weitgehend missachtet.

Erwägung 5

    5.- Die Klägerin stützt ihre Rechtsbegehren auch auf unlauteren
Wettbewerb. Das ist zulässig. Wie das Firmenrecht (Art. 956 Abs. 2 OR)
verlangt auch das Wettbewerbsrecht (Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG), dass
sich eine jüngere von einer älteren Firma eines Mitbewerbers genügend
unterscheide (BGE 98 II 63). Das Handelsgericht stellt verbindlich
fest, dass sich die Tätigkeitsgebiete der Parteien mindestens teilweise
überschneiden. Es folgert daraus unter Hinweis auf BGE 90 II 323 mit Recht,
dass zwischen den Parteien ein Wettbewerbsverhältnis besteht. Ist die
Verwechslungsgefahr unter firmenrechtlichen Gesichtspunkten zu bejahen,
so ist sie es auch nach Wettbewerbsrecht.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des
Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 28. November 1973 aufgehoben und
die Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
zurückgewiesen.