Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 II 153



100 II 153

24. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Juni 1974
i.S. X. gegen Bank Y. Regeste

    Unregelmässiger Hinterlegungsvertrag. Verrechnung.

    Die Sparhefteinlage beruht in der Regel auf einem unregelmässigen
Hinterlegungsvertrag (Art. 481 OR). Der Aufbewahrer kann nach Art. 125
Abs. 1 OR die Verpflichtung zur Rückgabe des Geldes wider den Willen des
Hinterlegers nicht durch Verrechnung tilgen.

Sachverhalt

                      Gekürzter Tatbestand:

    A.- X. war von November 1955 bis Ende Juni 1966 Direktor der Bank
Y. Der Verband Schweizerischer Lokalbanken, Spar- und Leihkassen wies
in den Revisionsberichten für die Jahre 1961-1963 auf die fragwürdige
Kreditgewährung und die damit für die Gläubiger der Bank bestehenden
Risiken hin. Das veranlasste Ende 1965 die Eidg. Bankenkommission,
eine Garantieleistung von Fr. 350 000.-- zur Wiederherstellung des
gesetzeskonformen Deckungsverhältnisses zu verlangen. Der Verwaltungsrat
der Bank Y. beschloss am 9. Dezember 1965, dass die Verwaltungsräte
und der Direktor je einen gleichen Anteil an die Garantie leisten
sollten. X. zahlte am 4. März 1966 Fr. 70 000.-- auf das für die
Sicherstellung bestimmte Namenssparheft Nr... der Bank Y. ein und
stellte dieses Sparheft dem Verband Schweizerischer Lokalbanken, Spar-
und Leihkassen "zu treuen Handen" zu. Dieser gab es ihm anfangs April
1966 vorbehaltlos zurück.

    B.- X. erklärte die teilweise Verrechnung seiner Sparheftforderung
von Fr. 70 000.-- plus Fr. 324.-- Zins mit seiner gegenüber
der Bank. Y. bestehenden, durch Inhaberschuldbrief gesicherten
Darlehensschuld von Fr. 40 000.--, zuzüglich Fr. 765.-- Zinsen und
Fr. 42,55 Tresorfachmiete. Die Bank Y. lehnte die Verrechnung ab und
sperrte das Konto. X. forderte daraufhin von der Bank Y. den Saldo von
Fr. 29 516.95 nebst Zins; er erhielt für diesen Betrag nach erfolgloser
Betreibung provisorische Rechtsöffnung.

    Die Bank X. reichte Aberkennungsklage ein. Sie berief sich in erster
Linie auf den Sicherungszweck des durch die Sparhefteinlage hinterlegten
Betrages und machte eventuell geltend, dass die Sparheftforderung des
Beklagten infolge Verrechnung mit ihr zustehenden Schadenersatzforderungen
getilgt sei. Der Beklagte bestritt den Bestand der Gegenforderungen
und verlangte widerklageweise die Herausgabe des Schuldbriefes und die
Zahlung von Fr. 47871.48 für Salär usw.

    C.- Das Kantonsgericht des Kantons Obwalden wies die Aberkennungsklage
am 19. Januar 1973 ab, hiess die Widerklage auf Herausgabe des
Schuldbriefes gut. Ferner schützte es die Widerklageforderung im Betrag
von Fr. 18 503.40, stellte aber fest, dass sie durch Verrechnung mit
einem diesen Betrag übersteigenden Schadenersatzanspruch der Klägerin
getilgt sei.

    D.- Das Obergericht des Kantons Obwalden bestätigte am
4. Oktober/9. November 1973 das erstinstanzliche Urteil.

    E.- Das Bundesgericht wies am 25. Juni 1974 die Berufungen der Parteien
ab, soweit es darauf eintrat.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Die Vorinstanz betrachtet die Sparhefteinlage des Beklagten als
unregelmässiges Gelddepot und folgert daraus, dass die Klägerin nach
Art. 125 Abs. 1 OR ihre Schadenersatzforderungen mit dem Restguthaben
des Beklagten nicht gegen dessen Willen verrechnen konnte. Die Klägerin
hält diese Auffassung für bundesrechtswidrig, da der Beklagte nach den
Umständen nicht an der Verwahrung, sondern an der zinstragenden Anlage
seines Geldes interessiert gewesen sei.

    a) Die Rechtsnatur der Sparkasseneinlagen ist umstritten.  In der
Lehre wird ein Darlehen, ein Vertrag eigener Art oder ein unregelmässiger
Verwahrungsvertrag in Betracht gezogen (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 22
mit Hinweisen zu Art. 481 OR). Ist ein Rechtsgeschäft nach Art. 481
OR anzunehmen, so kann der Aufbewahrer nach Art. 125 Abs. 1 OR die
Verpflichtung zur Rückgabe des Geldes wider den Willen des Hinterlegers
nicht durch Verrechnung tilgen (BGE 45 III 249; GAUTSCHI, N. 3a, 3c,
4d zu Art. 481 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 22 zu Art. 481 OR).

    b) Nach der Willensmeinung der Parteien können Sparkasseneinlagen
entweder den Charakter eines Darlehens oder eines irregulären Depots
haben. Massgebend ist in erster Linie der von beiden Parteien angenommene
oder vorausgesetzte wirtschaftliche Zweck (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 18 und 22
zu Art. 481 OR; GAUTSCHI, N. 6a und 8b zu Art. 481 OR; GUHL/MERZ/KUMMER,
OR S. 482; WIDMER, Die rechtliche Natur des Sparkassavertrages unter
besonderer Berücksichtigung der Verjährungsbestimmungen, S. 12). Die
Abgrenzung im Einzelfall ist nicht leicht, da der Geldgeber in der Regel
nicht nur einen Zins, sondern auch eine sichere Verwahrung erstrebt
(OSER/SCHÖNENBERGER, N. 22 zu Art. 481 OR). Verlangt der Gläubiger das
Geld aus dem Hinterlegungsvertrag zurück, so hat er als Voraussetzung
seines Anspruches den behaupteten Rechtsgrund zu beweisen (BGE 21
S. 1170). Diese Beweislage wird im Aberkennungsprozess nicht verändert
(BGE 95 II 621 Erw. 2), weshalb der Beklagte im vorliegenden Fall darzutun
hat, dass das Sparguthaben Gegenstand eines Hinterlegungsvertrages war.

    c) Die Vorinstanz erklärt, der Beklagte habe erst nach Aufforderung
durch die Bankenkommission und unter dem Druck der damaligen Verhältnisse
sich zur Sicherheitsleistung verpflichtet. Darin liegt bloss eine
Feststellung über den Beweggrund, der den Beklagten zur Eröffnung
des Sparheftes veranlasst hat. Hingegen fehlen im angefochtenen Urteil
tatsächliche Feststellungen, aus denen Rückschlüsse auf die Rechtsnatur der
Sparhefteinlage gezogen werden könnten. Massgebend für den Vertragsinhalt
ist demnach das im Sparheft abgedruckte Sparkassareglement (vgl. WIDMER,
aaO S. 18; GLÜCKSMANN, Die Rechtsnatur der Sparhefte, S. 24), auf das
sich denn auch die Klägerin beruft. Das fragliche Reglement ist für
unbestimmt viele Bankkunden vorgesehen. Es hat demnach den Charakter
eines Formularvertrages. Da es von der Klägerin ausgearbeitet wurde,
sind unklare Bestimmungen zu ihren Ungunsten auszulegen (BGE 97 II 74).

    Gemäss Art. 1 des Reglementes nimmt die Klägerin "Geldeinlagen
auf Sparhefte" entgegen. Sie wird Eigentümerin des Geldes und hat
es später - nebst dem Zins - in gleicher Menge zurückzuerstatten. Der
somit bloss der Gattung nach bestimmte Rückforderungsanspruch ist sowohl
dem Darlehen (Art. 312 OR) wie dem unregelmässigen Verwahrungsvertrag
(Art. 481 Abs. 1 OR) eigen. Das Reglement der Klägerin bestimmt, dass die
"Spareinlagen" den in Art. 15 des Bankengesetzes vorgesehenen Schutz,
d.h. ein konkursrechtliches Privileg, geniessen (Ziff. 1). Dieses Vorrecht
des Sparers wird in der Botschaft des Bundesrates damit gerechtfertigt,
dass die "mittleren und wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungsschichten"
Geld in Sparheften anlegen, um für Zeiten der Not vorzusorgen (BBl 1934
I 187). Der Sparheftsgläubiger will also nicht in erster Linie einem
guten Schuldner Kredit gewähren; er ist vielmehr darauf bedacht, das
Geld sicher, wenn auch mit einem mässigen Nutzen, aufbewahrt zu wissen
(GAUTSCHI, N. 6a zu Art. 481 OR). Ziffer 6 des Reglementes sieht sodann
vor, dass die Einlagen zu den von der Bank festgesetzten Bedingungen
verzinst werden. Daraus kann nicht zwingend auf einen Darlehensvertrag
geschlossen werden. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass in der Regel
nicht alle Sparheftgläubiger gleichzeitig ein Rückforderungsbegehren
stellen und es daher der Bank ermöglichen, einen Teil der Spargelder
zu Anlagezwecken zu verwenden und damit die Verwahrung nicht nur
unentgeltlich zu besorgen, sondern dem Sparer sogar einen sogenannten
Depotzins zu entrichten (vgl. GUHL/MERZ/KUMMER, aaO S. 482; GAUTSCHI, N.
4f und 6a zu Art. 481 OR; WIDMER, aaO S. 9/10; unzutreffend VON BÜREN,
OR, Besonderer Teil, S. 184/85, der stets ein Darlehen annimmt, sobald
ein noch so geringer Zins vereinbart ist). Dieser Zins ist regelmässig
niedriger als der Darlehenszins, so dass sich der Sparheftgläubiger
nicht als Darlehensgeber zu betrachten braucht. Wie aus dem Schreiben
der gesetzlichen Revisionsstelle der Klägerin an den Beklagten vom
7. April 1966 zu entnehmen ist, war die Sparhefteinlage des Beklagten
mit 4 1/2% zu verzinsen. Es handelte sich jedoch auch nach den damaligen
Verhältnissen auf dem Kapitalmarkt nicht um eine so hohe Vergütung, wie
sie bei Darlehen üblich ist. Auch die weitere Bestimmung (Ziff. 6 a.E.),
der Zins werde zum Kapital geschlagen und mit diesem weiterverzinst,
spricht nicht zwingend für ein Darlehen. Nach Art. 314 Abs. 3 OR ist
eine solche Abrede ungültig, ausser im Kontokorrentgeschäft und bei
Sparkassen. Es handelt sich dabei um eine allgemeine Zinsvorschrift
(vgl. § 248 BGB), nicht um eine Qualifikationsbestimmung. Sie steht
bloss deshalb im Abschnitt über das Darlehen, weil sie sich in erster
Linie auf dieses Rechtsgeschäft bezieht (GAUTSCHI, N. 6b zu Art. 481 OR;
WIDMER, aaO S. 17). Ziffer 6 des Reglementes sieht schliesslich vor, dass
Beträge über Fr. 2000.-- nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von
2-6 Monaten abgehoben werden können, was nach Ansicht der Klägerin gegen
einen Verwahrungsvertrag spricht. Zwar ist die jederzeitige Rückforderung
für den Hinterlegungsvertrag charakteristisch (Art. 475 Abs. 1 OR). Doch
kann auch ein Darlehen kraft Parteiabrede auf beliebige Aufforderung zur
Rückzahlung fällig werden (Art. 318 OR). Die im Reglement der Klägerin
vorgesehene Verfügungsbeschränkung hängt mit den bankengesetzlichen Anlage-
und Liquiditätsvorschriften für das Bankdepositengeschäft zusammen,
schliesst aber einen Hinterlegungsvertrag nicht aus (OSER/SCHÖNENBERGER,
N. 10 und GAUTSCHI, N. 8b zu Art. 481 OR). Die Banken sind nämlich
regelmässig bereit, "nach Möglichkeit" die ganze Einlage zurückzuerstatten,
jedoch unter Abzug eines nach Art. 475 Abs. 2 OR gerechtfertigten Diskonts
(GAUTSCHI, N. 8b zu Art. 481 OR). Die Bezeichnung des Sparheftes als Namen-
bzw. Inhaberpapier (vgl. Ziff. 9 des Reglementes) ist kein schlüssiger
Beweis dafür, dass der Beklagte nach dem Parteiwillen das Sparheft einzig
zu Anlagezwecken errichtet hat. Zudem verkennt die Klägerin, dass die im
Reglement (Ziff. 9) enthaltene Präsentations- und Legitimationsklausel
die Schuld der Bank zu einer Holschuld macht, die den unregelmässigen
Verwahrungsvertrag (Art. 477 OR) kennzeichnet, während die Darlehensschuld
(Art. 74 Abs. 2 Ziff. 1 OR) eine Bringschuld ist (GAUTSCHI, N. 4e zu
Art. 481 OR).

    Richtig ist, dass der Beklagte gemäss Schreiben vom 2. März 1966
an die Klägerin die für die Bankgläubiger bestimmte Garantiesumme nur
mit Hilfe Dritter aufbringen konnte. Inwiefern er aus diesem Grunde das
Geld für die Klägerin erkennbar "bis zur Verwendung" nur zinsbringend,
nicht aber sicher aufbewahrt wissen wollte, ist nicht zu ersehen. Im
erwähnten Schreiben teilte der Beklagte der Klägerin auch mit, sein Depot
habe bloss "treuhänderischen Charakter", solange die von ihm verlangten
Depotbedingungen nicht anerkannt seien. Auch dieser Vorbehalt sagt über
die Rechtsnatur der Sparheftforderung nichts aus; er bezieht sich einzig
auf die Frage der Sicherstellung zugunsten der Bankgläubiger.

    Somit verletzt die Auffassung der Vorinstanz, die Forderung des
Beklagten beruhe auf einem unregelmässigen Hinterlegungsvertrag,
Bundesrecht nicht.