Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 III 51



100 III 51

15. Entscheid vom 28. Oktober 1974 i.S. Maschinen Discount AG. Regeste

    Art. 153 Abs. 3 SchKG.

    Die Einleitung einer Betreibung auf Grundpfandverwertung ist nicht
ausgeschlossen, wenn die einseitige Ablösung der auf dem Grundstück
lastenden Grundpfandrechte im Sinne von Art. 828 ff. ZGB im Gange ist.

Sachverhalt

    A.- Am 26. November 1973 verkaufte Emil Bänziger die Parzelle
Heiden Nr. 571 an die Maschinen Discount AG. Der Kaufvertrag sieht die
einseitige Ablösung der auf dem Grundstück lastenden Grundpfandrechte
im Sinne von Art. 828 ff. ZGB zum Schatzungswert von Fr. 330 000.--
vor. Der Kaufpreis wurde durch die Pfandschatzungskommission jedoch auf
Fr. 403 200.-- festgesetzt und bildet heute Gegenstand eines Zivilprozesses
zwischen einigen Grundpfandgläubigern und der Erwerberin.

    Am 9. Dezember 1973 wurde über Emil Bänziger, der sich insolvent
erklärt hatte, der Konkurs eröffnet.

    Mit Zahlungsbefehl Nr. 7778 des Betreibungsamtes Heiden vom 10. Juni
1974 liess Alois Voney, einer der Grundpfandgläubiger, gegen Emil Bänziger
für den Betrag von Fr. 55 000.-- nebst 7% Zins seit 1. Mai 1973 Betreibung
auf Pfandverwertung einleiten. Der Schuldner erhob keinen Rechtsvorschlag,
wohl aber die Maschinen Discount AG, der als Eigentümerin des Pfandes
ebenfalls ein Zahlungsbefehl zugestellt worden war.

    B.- Mit Eingabe vom 19. Juni 1974 erhob die Maschinen Discount AG beim
Obergericht von Appenzell A. Rh. als Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung
und Konkurs ausserdem Beschwerde mit dem Antrag, die Betreibung Nr. 7778
des Betreibungsamtes Heiden sei aufzuheben. Sie machte geltend, während der
Dauer des Ablösungsverfahrens sei eine Betreibung auf Grundpfandverwertung
unzulässig. Das Obergericht wies die Beschwerde am 5. Juli 1974 ab.

    C.- Mit dem vorliegenden Rekurs an die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts beantragt die Maschinen Discount AG,
der Entscheid der Aufsichtsbehörde sei aufzuheben und die Betreibung
Nr. 7778 des Betreibungsamtes Heiden sei einzustellen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Umstand, dass über den Schuldner der Konkurs eröffnet worden
ist, steht der Betreibung auf Verwertung des einem Dritten gehörenden
Pfandes nicht entgegen (Art. 89 Abs. 1 VZG). Nach Art. 197 Abs. 1
SchKG umfasst die Konkursmasse nur das dem Gemeinschuldner gehörende
Vermögen. Pfänder, die im Eigentum eines Dritten stehen, fallen daher nicht
darunter. Die Betreibung auf Verwertung solcher Pfänder richtet sich gegen
den Gemeinschuldner persönlich und nicht gegen die Masse; es handelt sich
dabei um eine Ausnahme von dem in Art. 206 SchKG vorgesehenen Verbot der
Spezialexekution während der Dauer des Konkursverfahrens (BGE 93 III 57,
49 III 249; SCHELLENBERG, Die Rechtsstellung des Dritteigentümers in der
Betreibung auf Pfandverwertung, Diss. Zürich 1968, S. 66).

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 828 ZGB kann das kantonale Recht den Erwerber eines
Grundstückes, der nicht persönlich für die darauf lastenden Schulden
haftbar ist, ermächtigen, solange keine Betreibung erfolgt ist, die
Grundpfandrechte abzulösen, wenn sie den Wert des Grundstücks übersteigen,
indem er den Gläubigern den Erwerbspreis oder bei unentgeltlichem Erwerb
den Betrag ausbezahlt, auf den er das Grundstück wertet. Der Kanton
Appenzell A. Rh. hat von dieser Möglichkeit, die einseitige Ablösung der
Grundpfandrechte (Purgation) zuzulassen, Gebrauch gemacht (Art. 233 EGzZGB
vom 27. April 1969).

    Das Verhältnis zwischen der Purgation und der Betreibung auf
Grundpfandverwertung ist in Art. 828 Abs. 1 ZGB und in Art. 153 Abs. 3
SchKG geregelt. Nach der ersten dieser beiden Bestimmungen ist die
Purgation nur zulässig, solange keine Betreibung erfolgt ist. Der
Erwerber des Grundstücks kann also die darauf lastenden Pfandrechte
nicht ablösen, wenn bereits eine Betreibung auf Verwertung des Pfandes im
Gange ist. Umgekehrt kann gemäss Art. 153 Abs. 3 SchKG nach Einleitung
des Purgationsverfahrens das Grundstück nur verwertet werden, wenn der
betreibende Gläubiger nach Beendigung des Verfahrens dem Betreibungsamt den
Nachweis leistet, dass ihm noch ein Grundpfandrecht für die in Betreibung
gesetzte Forderung zusteht. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist
somit während der Dauer des Purgationsverfahrens eine Betreibung auf
Pfandverwertung nicht ausgeschlossen; es wird lediglich die Verwertung des
Pfandes an bestimmte Bedingungen geknüpft (LEEMANN, N. 10 zu Art. 828 ZGB;
JAEGER, N. 5 zu Art. 153 SchKG; SCHELLENBERG, aaO S. 139). Die Hängigkeit
des Purgationsverfahrens stand demnach im vorliegenden Fall der Einleitung
der Betreibung nicht entgegen.

Erwägung 3

    3.- Was die Rekurrentin hiegegen vorbringt, schlägt nicht durch.

    a) So folgt aus dem Ausschluss der Verwertung während der Dauer des
Purgationsverfahrens nicht, dass bereits die Einleitung der Betreibung
auf Pfandverwertung unzulässig sein soll. Gewiss wäre es kaum sinnvoll,
eine Betreibung zuzulassen, wenn zum vornherein feststünde, dass es nie
zur Verwertung kommen kann. Die Einleitung des Purgationsverfahrens
schliesst indessen die Verwertung nicht in jedem Falle endgültig
aus. Es kann nämlich auch vorkommen, dass die Ablösung scheitert,
etwa dann, wenn keine öffentliche Steigerung durchgeführt wird und der
Erwerber den Ablösungsbetrag nicht fristgerecht bezahlt. Diese Gefahr
besteht insbesondere dann, wenn das kantonale Recht, wie das in Appenzell
A. Rh. der Fall ist, an Stelle der öffentlichen Versteigerung eine amtliche
Schätzung des Grundstücks vorsieht, deren Betrag als Ablösungssumme
zu gelten hat (Art. 830 ZGB). Scheitert die Purgation, so bleiben die
Grundpfandrechte bestehen (LEEMANN, N. 20 zu Art. 828 ZGB), und der
Pfandgläubiger, der während der Dauer des Verfahrens eine Betreibung auf
Pfandverwertung eingeleitet hat, kann die Verwertung verlangen.

    b) Aus der systematischen Stellung von Art. 153 Abs. 3 SchKG innerhalb
von Vorschriften, die sich auf Zahlungsbefehl und Rechtsvorschlag bei
der Betreibung auf Pfandverwertung beziehen, lässt sich sodann nicht
ableiten, der Gesetzgeber habe während der Dauer des Purgationsverfahrens
nicht nur die Verwertung des Pfandes, sondern auch die Einleitung der
Betreibung ausschliessen wollen. Wie JAEGER (N. 5 zu Art. 153 SchKG)
zutreffend ausführt, gehört Art. 153 Abs. 3 SchKG trotz seiner Stellung
in Wirklichkeit zum Verwertungsverfahren. Hätte der Gesetzgeber die
Meinung gehabt, die Betreibung dürfe überhaupt nicht mehr angehoben
werden, sobald der Dritteigentümer das Ablösungsverfahren eingeleitet
hat, so wäre nicht verständlich, weshalb er die Verwertung von dem
dem Betreibungsamt zu erbringenden Nachweis, dass dem Gläubiger noch
ein Pfandrecht zusteht, abhängig machte. Da die Purgation nur zulässig
ist, wenn keine Betreibung im Gange ist (Art. 828 Abs. 1 ZGB), kann sich
Art. 153 Abs. 3 SchKG nur auf solche Betreibungen beziehen, die erst nach
Einleitung des Ablösungsverfahrens angehoben worden sind. Könnten nun,
wie die Rekurrentin geltend macht, neue Betreibungen erst nach Abschluss
der Purgation eingeleitet werden, wo wäre der in Art. 153 Abs. 3 SchKG
vorgesehene Nachweis überflüssig; denn in diesem Fall hätte das übliche
Vorverfahren nach Zustellung des Zahlungsbefehls darüber Aufschluss zu
geben, ob das Pfandrecht anerkannt sei oder nicht (JAEGER, aaO). Art. 153
Abs. 3 SchKG setzt demnach die Zulässigkeit von Betreibungen während der
Dauer des Purgationsverfahrens geradezu voraus.

    c) Zu keinem andern Ergebnis führt die teleologische
Auslegung. Art. 153 Abs. 3 SchKG will verhindern, dass die Purgation
durch Zwangsvollstreckungen in das Grundstück, auf dem die abzulösenden
Pfandrechte lasten, vereitelt wird. Um diesen Zweck zu erreichen,
genügt es, die Verwertung des Pfandes auszuschliessen bzw. an bestimmte
Bedingungen zu knüpfen. Es ist dagegen nicht erforderlich, auch die
Einleitung der Betreibung zu verbieten. Die Zustellung des Zahlungsbefehls
und das darauf folgende Verfahren (Beseitigung des Rechtsvorschlags durch
Rechtsöffnung bzw. richterliches Urteil) behindern die Durchführung der
Purgation in keiner Weise.

    d) Zu Unrecht kritisiert die Rekurrentin die Ansicht von
JAEGER, N. 5 zu Art. 153 SchKG. Wohl müssen die Kantone, welche die
Hypothekenbereinigung eingeführt haben, eine Art Kollokationsverfahren
vorsehen, in dem Bestand und Rang der abzulösenden Pfandrechte
festgestellt werden (vgl. dazu LEEMANN, N. 21 ff. zu Art. 828 ZGB). Dies
schliesst jedoch nicht aus, dass ein Pfandgläubiger ein Interesse
daran haben kann, während der Purgation eine Betreibung einzuleiten
und sein Pfandrecht im Vorverfahren dieser Betreibung feststellen zu
lassen. Denn der im Purgationsverfahren aufgestellte Kollokationsplan ist
für die Betreibungsbehörden nicht verbindlich, da die beiden Verfahren
voneinander unabhängig sind. Dazu kommt, dass die Verwertung eines
Grundpfandes frühestens sechs Monate nach Zustellung des Zahlungsbefehls
verlangt werden kann (Art. 154 Abs. 1 SchKG). Dürfte der Pfandgläubiger
die Betreibung erst nach Beendigung des Purgationsverfahrens anheben, so
könnte er demnach die Verwertung des Pfandes nicht sogleich verlangen,
auch wenn er den Nachweis leisten könnte, dass ihm noch ein Pfandrecht
zusteht, sondern er müsste zunächst den Ablauf der Verwertungsfrist
abwarten. Auch deswegen kann er ein Interesse daran haben, schon früher
zu betreiben. Schliesslich können auch Gründe des materiellen Rechts
dafür sprechen, die Betreibung möglichst frühzeitig einzuleiten. So
erstreckt sich gemäss Art. 806 Abs. 1 ZGB die Pfandhaft nur auf diejenigen
Miet- bzw. Pachtzinsforderungen, die seit Anhebung der Betreibung auf
Grundpfandverwertung aufgelaufen sind (vgl. Art. 91 VZG). Der Gläubiger
ginge somit unter Umständen eines Teils seiner Ansprüche verlustig, wenn
er die Betreibung erst nach Ablauf des Purgationsverfahrens einleiten
könnte. Die Hängigkeit dieses Verfahrens macht daher die Anhebung einer
Betreibung auf Pfandverwertung keineswegs überflüssig.

    e) Inwiefern Art. 88/89 VZG eine Lücke aufweise, ist nicht
ersichtlich. Das Verhältnis zwischen der Purgation und der Betreibung auf
Grundpfandverwertung ist in Art. 828 Abs. 1 und in Art. 153 Abs. 3 SchKG
hinreichend geregelt. Diese Regelung bedurfte demnach keiner Ergänzung
durch die VZG.

    f) Ebensowenig ist schliesslich zu ersehen, warum die Betreibung nur
dann zulässig sein soll, wenn die Forderung des betreibenden Gläubigers
schon vor der Anzeige der Ablösung gemäss Art. 828 Abs. 2 ZGB fällig
geworden ist. Im übrigen ist die Frage der Fälligkeit nicht von den
Aufsichtsbehörden, sondern vom Richter zu entscheiden.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetreibungs und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.