Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 III 12



100 III 12

5. Entscheid vom 28. Februar 1974 i.S. G. Regeste

    1. Betreibungshandlungen während der Betreibungsferien (Art. 56
Ziff. 3 SchKG).

    Während der Betreibungsferien vorgenommene Betreibungshandlungen sind
unwirksam, wenn sie gemäss ihrem Wortlaut sofort in Kraft treten sollen
(Erw. 1).

    2. Verdienstpfändung (Art. 93 SchKG).

    Der Schuldner hat Anspruch darauf, dass ihm gleichzeitig mit der
Lohn- bzw. Verdienstpfändung die Grundlagen der Pfändung, wozu auch die
Berechnung des Notbedarfs gehört, bekanntgegeben werden (Erw. 2).

Sachverhalt

    In der Betreibung der Bank P. gegen G. pfändete das Betreibungsamt
am 27. November 1973 vom Einkommen des Schuldners aus seiner selbständigen
Erwerbstätigkeit den Betrag von Fr. 400.-- pro Monat. Mit Schreiben
vom 17. Dezember 1973, das der Post am 18. Dezember übergeben und von
der Ehefrau des Schuldners am 19. Dezember in Empfang genommen wurde,
teilte das Betreibungsamt diesem die Verdienstpfändung mit dem Vermerk
"beginnend: sofort!" mit. Gleichzeitig machte das Amt den Schuldner auf
die Straffolgen einer Nichtablieferung des gepfändeten Verdienstes und
der Verletzung seiner Meldepflicht über eine allfällige Änderung der
Einkommensverhältnisse aufmerksam, ohne ihm indessen die Grundlagen der
Verdienstpfändung, insbesondere die Berechnung des Existenzminimums,
bekannt zu geben.

    Am 28. Dezember 1973 beschwerte sich der Schuldner bei der
kantonalen Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs über die
Einkommenspfändung, weil sie während der Betreibungsferien mitgeteilt und
in Kraft gesetzt worden sei und weil sie keine Angaben über die Berechnung
des Existenzminimums enthalte. Die Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde
am 11. Januar 1974 ab.

    G. führt gegen den Entscheid der Aufsichtsbehörde Rekurs an die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Er verlangt
aus den gleichen Gründen, die er im kantonalen Verfahren geltend machte,
die Aufhebung des angefochtenen Entscheides.

    Der Gläubigerin und dem Betreibungsamt wurde eine Frist eingeräumt,
innert welcher sie zum Rekurs Stellung nehmen konnten. Sowohl das
Betreibungsamt als auch die Bank P. verzichteten auf Vernehmlassung.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 56 Ziff. 3 SchKG dürfen Betreibungshandlungen während
der Betreibungsferien nicht vorgenommen werden; zu den Betreibungsferien
gehören auch sieben Tage vor und sieben Tage nach Weihnachten. Die Anzeige
über die Verdienstpfändung, welche dem Schuldner am 19. Dezember 1973
mitgeteilt wurde, hätte ihm somit nicht zugestellt werden dürfen. Die
Vorinstanz führte jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des
Bundesgerichts im angefochtenen Entscheid aus, eine derartige Zustellung
von Betreibungsakten während der Betreibungsferien sei weder nichtig noch
aufzuheben, sondern der Akt beginne seine Wirkung erst am ersten Tag nach
den Betreibungsferien zu entfalten. Im vorliegenden Fall bedeute dies,
dass die notifizierte Verdienstpfändung erst ab Januar 1974 wirksam
geworden sei.

    Richtig ist, dass in den von der Vorinstanz zitierten Entscheidungen
des Bundesgerichts (BGE 82 III 52, 67 III 69 und 49 III 76) der Grundsatz
aufgestellt wurde, eine während der Betreibungsferien vorgenommene
Betreibungshandlung sei nicht in jedem Falle nichtig oder anfechtbar,
sondern entfalte ihre Wirkung erst nach Ablauf der Betreibungsferien. Diese
Rechtsprechung ist jedoch auf den vorliegenden Fall entgegen der Auffassung
der Vorinstanz nicht anwendbar, weil das Betreibungsamt dem Schuldner in
der Anzeige vom 17. Dezember 1973 unmissverständlich mitgeteilt hat, die
Verdienstpfändung von Fr. 400.-- pro Monat trete sofort in Kraft. Daraus
musste der Rekurrent entnehmen, er habe schon aus seinem Verdienst für den
Monat Dezember 1973 die gepfändete Quote von Fr. 400.-- abzuliefern. Nach
seiner Darstellung im Rekurs an das Bundesgericht hat er denn auch am 24.
Dezember 1973 den Betrag von Fr. 400.-- dem Betreibungsamt überwiesen,
um den angedrohten Straffolgen auf alle Fälle zu entgehen. Dieses
Vorgehen des Betreibungsamtes war gesetzwidrig. Wenn das Amt ohne
ersichtliche Notwendigkeit die Verdienstpfändung dem Schuldner während
der Betreibungsferien mitteilen wollte, so hätte es ihn ausdrücklich
darauf aufmerksam machen müssen, dass die Pfändung erst nach Ablauf der
Betreibungsferien und somit erst für den Januar 1974 in Kraft trete. Auf
keinen Fall hätte es die Anzeige mit der Bemerkung, die fragliche Pfändung
beginne sofort, versehen dürfen.

Erwägung 2

    2.- Ein Schuldner, der unter der Androhung von Straffolgen angewiesen
wird, einen Teil seines monatlichen Einkommens dem Betreibungsamt
abzuliefern, hat einen unabdingbaren Anspruch darauf, dass ihm gleichzeitig
mit dem Inkrafttreten der Verdienstpfändung mitgeteilt wird, wie die
pfändbare Quote ermittelt worden ist. Dazu gehört auch die Bekanntgabe
der Berechnung des Notbedarfs. Dieser Grundsatz ergibt sich sinngemäss aus
den in BGE 65 III 70/71 angestellten Erwägungen. Erst wenn der Schuldner
die Grundlagen der Pfändung kennt, kann er sich darüber schlüssig werden,
ob er diese anerkennen oder mit Beschwerde anfechten will. Es ist ihm nicht
zuzumuten, ohne Kenntnis dieser Grundlagen Beträge von seinem Einkommen an
das Betreibungsamt abzuliefern. Da das Amt überdies für die Festsetzung der
pfändbaren Quote sowohl das massgebende Einkommen wie die erforderlichen
Grundlagen für die Ermittlung des Notbedarfs kennen muss, besteht auch
kein ausreichender Grund, diese der Pfändung zugrundeliegenden Tatsachen
dem Schuldner nicht gleichzeitig mit der Pfändungsanzeige mitzuteilen. Der
Rekurrent beschwert sich demnach in der Rekursschrift vom 23. Januar 1974
zu Recht darüber, dass er bisher weder eine Abschrift der Pfändungsurkunde
noch eine Mitteilung über die Berechnung des Notbedarfs erhalten hat. Der
Rekurs ist somit auch in dieser Beziehung begründet.

Entscheid:

    Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen, und der Entscheid der kantonalen
Aufsichtsbehörde vom 11. Januar 1974 sowie die Verfügung des
Betreibungsamtes vom 17. Dezember 1973 werden aufgehoben.