Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IB 75



100 Ib 75

13. Urteil vom 3. April 1974 i.S. Korporation Burghof und Cons. gegen
SBB und Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement Regeste

    Enteignungsverfahren. Übersetzungsversehen. Art. 109 Abs. 2 EntG.

    In den verschiedenen Amtssprachen abweichender Gesetzeswortlaut;
Übersetzungsversehen (Erw. 1).

    Was gilt als amtliches Blatt im Sinne von Art. 109 EntG? (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Im Enteignungsverfahren der Schweizerischen Bundesbahnen gegen
verschiedene Grundeigentümer in den Gemeinden Thalheim (ZH), Oberneunforn
(TG) und Waltalingen (ZH) wurden Planauflage und Einsprachefrist für
die Gemeinde Oberneunforn am 29. März 1972 in der Thurgauer Zeitung,
dem Weinländer Tagblatt und der Andelfingerzeitung bzw. am 30. März im
Amtsblatt des Kantons Thurgau veröffentlicht. Die persönlichen Anzeigen
gingen den Enteigneten am 25. und 27. März zu.

    Für 22 Grundeigentümer in Oberneunforn reichte Fürsprech Bommer
am 1. Mai 1972 Einsprache ein. Das Eidgenössische Verkehrs- und
Energiewirtschaftsdepartement trat in seinem Entscheid vom 14. November
1973 auf die 22 Einsprachen wegen Verspätung nicht ein.

    B.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde machen die 22 Grundeigentümer von
Oberneunforn geltend, massgebend für die Einhaltung der Einsprachefrist
sei der Tag der Veröffentlichung im Amtsblatt des Kantons Thurgau. Die
dreissigtägige Frist sei daher am Samstag, den 29. April 1972, abgelaufen
und habe sich bis zum 1. Mai 1972 verlängert. In der Gemeinde Oberneunforn
sei keine der Zeitungen, in denen die Bekanntmachung erschienen sei,
als amtliches Publikationsorgan anerkannt.

    C.- Die SBB und das Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement
beantragen, auf die Beschwerde nicht einzutreten oder diese abzuweisen.

    Es wurde ein Amtsbericht der Staatskanzlei des Kantons Thurgau
eingeholt.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Einsprachen der Beschwerdeführer sind am 1. Mai 1972
rechtzeitig eingereicht worden, falls die Frist ab Veröffentlichung
im Amtsblatt des Kantons Thurgau zu berechnen ist. Sind hingegen die
einen Tag früher erschienenen Publikationen in der Thurgauer Zeitung,
dem Weinländer Tagblatt und der Andelfinger Zeitung massgebend, so sind
die Einsprachen - wie die Vorinstanz angenommen hat - verspätet.

    Der letzte Satz von Art. 109 Abs. 2 EntG bestimmt über den Beginn des
Fristenlaufes bei Bekanntmachungen: "Für die Berechnung der Fristen ist
die erste Veröffentlichung in den amtlichen Blättern massgebend." Der
entsprechende italienische Text lautet identisch: "Per il computo
dei termini fa forma la prima pubblicazione nei fogli officiali." In
der französischen Fassung heisst es dagegen verkürzt: "Les délais se
calculent à compter de la première publication." Nach der französischen
Fassung ist also die erste gleich welcher Publikationen für den Beginn
des Fristenlaufes massgebend; sie braucht nicht in amtlichen Blättern
erfolgt zu sein.

    Es sprechen verschiedene Gründe für die Annahme, dass der französische
Wortlaut der fraglichen Bestimmung ungewollt unvollständig ist.
Bedeutungsvoll - aber nicht massgeblich - ist, dass der deutsche Text - wie
aus der Entstehungsgeschichte des Enteignungsgesetzes hervorgeht (vgl. BBl
1926 II 2 ff.) - der ursprüngliche ist und dass er mit dem italienischen
Wortlaut übereinstimmt. Entscheidend ist hingegen, dass der Bundesrat nicht
nur in der deutschen, sondern auch in der französischen Fassung seiner
Botschaft davon ausging, dass die Publikation in den amtlichen Blättern
massgeblich sei: "La publication dans les feuilles officielles demeure
d'ailleurs d'une portée particulière, du fait qu'elle fait seule règle
pour le calcul des délais" (FF 1926 II 112/13; übereinstimmend BBl 1926
II 107). In der französischen Fassung des heutigen Art. 109 Abs. 2 EntG
sind die Worte "dans les feuilles officielles" offensichtlich vergessen
worden. Selbst wenn aber das Übersetzungsversehen nicht so offenkundig
wäre, müsste dem deutschen und italienischen Text der Vorzug gegeben
werden, weil eine formelle Vorschrift wie die des Art. 109 Abs. 2 EntG
im Interesse der Rechtssicherheit eng auszulegen ist. Die Adressaten der
Bekanntmachungen müssen mit Bestimmtheit wissen, welche der Publikationen
für den Beginn des Fristenlaufes allein massgeblich ist.

Erwägung 2

    2.- Das Gesetz sagt nicht, was als "amtliches Blatt" im Unterschied zu
"andern Blättern", die in Art. 109 Abs. 2 EntG erwähnt sind, gilt. Die
Botschaft verstand darunter das kantonale Amtsblatt oder "dieses
ersetzende sonstige amtliche Anzeiger" (BBl 1926 II 107, FF 1926 II
112). Entscheidend ist offenbar, ob das kantonale Recht einer Zeitung
einen amtlichen Charakter verleiht.

    Das thurgauische Dekret über die Herausgabe eines Kantonsblattes und
eines Amtsblattes vom 18. Februar 1850 erlaubt den Gemeinden, "wo die
Bekanntmachung durch das Amtsblatt nicht genügt", zur weitern Verbreitung
einer Anzeige öffentliche Blätter in und ausser dem Kanton zu benutzen. Die
Munizipalgemeinden Frauenfeld, Arbon und Kreuzlingen haben insofern
davon Gebrauch gemacht, als sie bestimmte Tageszeitungen zusätzlich als
"amtliche Publikationsorgane" der Gemeinde bezeichnet haben. Für die
Gemeinde Oberneunforn fehlt ein entsprechender Beschluss. Sie begnügt sich
in der Regel mit der Bekanntgabe amtlicher Mitteilungen am Anschlagbrett.

    Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann dem Umstand, dass
verschiedene Zeitungen sich im Kopf als Publikationsorgane der Gemeinde
Oberneunforn bezeichnen, keine Bedeutung zukommen. Auch der Umstand,
dass die betreffenden Blätter in der Gemeinde stark verbreitet sind,
ist gemäss Art. 109 Abs. 2 EntG nicht entscheidend. Wie sich eindeutig
aus dem Amtsbericht der Staatskanzlei ergibt, ist offensichtlich
in vielen Gemeinden des Kantons ausser dem Amtsblatt kein amtliches
Publikationsorgan vorhanden; die Veröffentlichungen erfolgen regelmässig
nur am Anschlagbrett.

    Es mag offen bleiben, wie es wäre, wenn die Gemeinde Oberneunforn, ohne
je einen ausdrücklichen Beschluss gefasst zu haben, alle ihre amtlichen
Bekanntmachungen in den erwähnten Zeitungen erscheinen liesse, sodass
die Einwohner sich nach Treu und Glauben darauf verlassen könnten. Es
fehlen alle Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen hier
gegeben sind. Vielmehr erfolgten die in Frage stehenden Publikationen
in der Andelfinger Zeitung, dem Weinländer Tagblatt sowie der Thurgauer
Zeitung im Sinne der Vorschrift des Art. 109 Abs. 2 EntG, wonach die
Veröffentlichungen ausser in den amtlichen Anzeigeblättern noch in
mindestens zwei verbreiteten andern Blättern erfolgen müssen. Für
den Fristenlauf war dies aufgrund der konkreten Gesetzesvorschrift
nicht massgebend. Ausserdem wurde zumindest die Andelfinger Zeitung den
Abonnenten in Oberneunforn erst am folgenden Tag, d.h. am 30. März 1972,
per Post zugestellt.

    Die Vorinstanz ist daher zu Unrecht auf die Einsprachen aus der
Gemeinde Oberneunforn nicht eingetreten.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, Ziffer 1 des Entscheides vom 14.
November 1973 hinsichtlich der Beschwerdeführer aufgehoben und das
Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement angewiesen, die
Einsprachen der Beschwerdeführer zu behandeln.