Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IB 383



100 Ib 383

68. Urteil vom 8. November 1974 i.S. Wiesner gegen Eidg. Justiz- und
Polizeidepartement Regeste

    Art. 36 Abs. 4 ZG, Art. 55 ZV: Beschlagnahme von Veröffentlichungen und
Gegenständen unsittlicher Natur, die bei der Zollrevision entdeckt werden.

    -  Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    - Begriff der "Veröffentlichungen und Gegenstände unsittlicher Natur"
und Abgrenzung zum Begriff der "unzüchtigen Veröffentlichungen" im Sinne
von Art. 204 StGB.

    - Massnahmen, welche die Bundesanwaltschaft bei zollrechtlich
beschlagnahmten Veröffentlichungen und Gegenständen unsittlicher Natur im
Einzelfall treffen kann; Grundsätze der Gesetz- und Verhältnismässigkeit
sowie der verfassungskonformen Auslegung.

Sachverhalt

    Die Schweizerische Zollverwaltung beschlagnahmte am 3. September
1971 in Kreuzlingen-Emmishofen vorläufig und gestützt auf Art. 36
Abs. 4 des Bundesgesetzes über das Zollwesen vom 1. Oktober 1925 (ZG)
eine an die Verlagsauslieferung Robert Fasler in Zürich adressierte
Sendung von fünfhundert Exemplaren des chinesischen Romans "Dschu-Lin
Yä-schi" (nachfolgend DLYS), der in deutscher Übersetzung im Verlag
"Die Waage" Zürich erschienen und in Hamburg von der Offizin Paul
Hartung gedruckt worden war. Von der vorläufigen Beschlagnahme gab
die Eidg. Oberzolldirektion der Bundesanwaltschaft Kenntnis. Nach einem
langwierigen Untersuchungsverfahren verfügte die Bundesanwaltschaft am
3. Oktober 1972 die definitive Beschlagnahme und entzog einer allfälligen
Beschwerde gegen ihre Verfügung die aufschiebende Wirkung. Der betroffene
Verleger beschwerte sich über die Beschlagnahme beim Eidg. Justiz- und
Polizeidepartement (EJPD). Dieses wies die Beschwerde am 16. Mai 1973
ab, weil es den Roman DLYS als unsittlich im Sinne von Art. 36 Abs. 4
ZG qualifizierte.

    Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Der Beschwerdeführer beantragt, der
Entscheid des Departements sei aufzuheben und der Roman DLYS freizugeben;
eventuell sei die Freigabe mit Auflagen zu versehen, die weniger weit
gehen als die Beschlagnahme des Romans.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in dem Sinne gut, dass es den
angefochtenen Entscheid aufhebt und die Sache zur Neuentscheidung an die
Bundesanwaltschaft zurückweist.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 97 Abs. 1 OG beurteilt das Bundesgericht letztinstanzlich
Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5
VwG. Als solche gelten Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf
öffentliches Recht des Bundes stützen und u.a. Begründung, Änderung oder
Aufhebung von Rechten und Pflichten zum Gegenstand haben. Der angefochtene
Entscheid des EJPD stellt eine Verfügung im Sinne dieser Bestimmung dar. Er
stützt sich auf die eidgenössische Zollgesetzgebung und stammt von einem
Departement des Bundesrates (Art. 98 lit. b OG). Wiewohl die Parteien das
Problem der Zuständigkeit des Bundesgerichtes nicht aufwerfen, die Frage
der Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde somit unbestritten
ist, muss von Amtes wegen geprüft werden, ob einer der in den Art. 99
bis 102 aufgezählten Unzulässigkeitstatbestände zutrifft. In Betracht
fällt namentlich Art. 100 lit. f OG. Diese Bestimmung schliesst die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus, wenn es sich bei der angefochtenen
Massnahme um eine Verfügung auf dem Gebiete der Strafverfolgung
handelt. Die Frage wurde in einem früheren Urteil (2. März 1973, in BGE
99 Ib 66 nicht publizierte Erwägung 1) ohne nähere Begründung verneint.

    Die von der Bundesanwaltschaft gestützt auf die Bestimmungen der
eidgenössischen Zollgesetzgebung (Art. 36 Abs. 4 ZG und Art. 55 Abs. 2
Verordnung zum Zollgesetz vom 10. Juli 1926; ZV) angeordnete und vom EJPD
bestätigte "endgültige Beschlagnahme" ist keine Massnahme, die unmittelbar
der Strafverfolgung dient. Wie die Beschlagnahme aufgrund des BRB
betreffend staatsgefährliches Propagandamaterial vom 29. Dezember 1948 oder
ähnlich der Beschlagnahme durch die Postverwaltung gemäss Art. 25 Abs. 1
lit. b PVG, hat die Verfügung der Bundesanwaltschaft über die definitive
Beschlagnahme von Gegenständen oder Veröffentlichungen, die sich bei der
Zollkontrolle als unsittlicher Natur erweisen und deshalb vorsorglich
und unter Meldung an die Bundesanwaltschaft zurückbehalten worden sind,
administrativen Charakter. Es handelt sich um eine selbständige Massnahme
des Verwaltungsrechts, die - wie die nachfolgenden Erwägungen erhellen -
ohne Rücksicht auf eine allfällige Strafverfolgung angeordnet wird.

    Der Unzulässigkeitsgrund des Art. 100 lit. f OG trifft demnach auf
die hier angefochtene Massnahme nicht zu, weshalb auf die Beschwerde
einzutreten ist. Wie weit die einzelnen Rügen zu hören sind, ist nicht
hier, sondern im Rahmen der Sachprüfung zu entscheiden.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die Beschlagnahme des
Romans DLYS bundesrechtswidrig sei und daher aufgehoben werden müsse;
namentlich sei der Roman in keiner Weise unzüchtig im Sinne von Art. 204
StGB bzw. unsittlich im Sinne von Art. 36 Abs. 4 ZG. Die Beschlagnahme
verstosse auch gegen die Grundsätze der Rechtsgleichheit und der
Verhältnismässigkeit von Verwaltungsmassnahmen. Auch sei das rechtliche
Gehör verletzt worden, weil die Vorinstanz eine Aktenergänzung vorgenommen
und sich auf anonyme Gutachter gestützt habe.

    Diese letzte Rüge ist - weil offensichtlich unbegründet - vorab zu
beurteilen. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren können die Parteien
eine Aktenergänzung vornehmen. Der Beschwerdeführer hätte es in der
Hand gehabt, vor Ausarbeitung der Replik Einsicht in diese Aktenstücke
zu verlangen, die überdies für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung
sind. Anderseits handelt es sich bei den "anonymen Gutachtern" gar nicht
um Gutachter im Sinne des geltenden Verwaltungsprozessrechtes, sondern
lediglich um Meinungsäusserungen zu einer Rechtsfrage, die der Richter
selbst entscheiden muss. Diese Meinungsäusserungen sagen dem Richter
nicht mehr, als wie anonym gebliebene Personen über ein bestimmtes Problem
denken oder eine Publikation werten.

Erwägung 3

    3.- Art. 36 Abs. 4 ZG, der die Rechtsgrundlage für den angefochtenen
Entscheid bildet, verpflichtet die Zollorgane, Veröffentlichungen und
Gegenstände unsittlicher Natur, die bei der Zollrevision entdeckt werden,
zu beschlagnahmen unter Anzeige an die Bundesanwaltschaft. Nach Art. 55 ZV
entscheidet die Bundesanwaltschaft, ob die Beschlagnahme aufrechtzuerhalten
ist.

    Damit stellen sich grundsätzlich zwei Fragen, die auf dem Wege der
Auslegung zu beantworten sind: Einerseits ist klarzustellen, was unter
dem Begriff der Veröffentlichungen und Gegenstände "unsittlicher Natur"
zu verstehen ist; anderseits ist zu entscheiden, was mit den ob ihrer
"unsittlichen Natur" vorsorglich beschlagnahmten Gegenständen zu geschehen
hat. Bei der Beantwortung dieser beiden Fragen ist Art. 36 Abs. 4 ZG
in erster Linie aus sich selbst, d.h. nach seinem Wortlaut, Sinn und
Zweck sowie nach den ihm zugrunde liegenden Wertungen auszulegen; die
Entstehungsgeschichte der Norm kann dabei ein wertvolles Hilfsmittel sein,
den Sinn der Norm zu erkennen und damit falsche Auslegungen zu vermeiden
(BGE 100 II 57 mit Hinweisen).

Erwägung 4

    4.- a) Das Bundesgericht hat in seinem Urteil vom 3.  März 1973
(BGE 99 Ib 67) hervorgehoben, dass es sich beim Begriff "unsittlicher
Natur" um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt. Das Vorliegen
dieses unbestimmten Rechtsbegriffes räumt aber der Verwaltung bei der
Auslegung des Art. 36 Abs. 4 ZG keinen Beurteilungsspielraum ein, der
die Kognition des Richters einschränken würde. Der Richter ist nämlich -
ebenso wie die Verwaltung - in der Lage, den Begriff des Unsittlichen mit
hinreichend bestimmtem Rechtsgehalt zu füllen und ihm den dem Willen des
Gesetzgebers entsprechenden Sinn zu geben. Er ist daher in der Beurteilung
der Rechtsfrage, ob ein Gegenstand oder eine Veröffentlichung unsittlicher
Natur im Sinne von Art. 36 Abs. 4 ZG zu werten ist, frei (BGE 99 Ib 67).

    b) Die Bestimmung des Art. 36 Abs. 4 ZG war im Entwurf des Bundesrates
vom 4. Januar 1924 noch nicht enthalten (vgl. BBl 1924 I 69 ff.). Das
Thema der Beschlagnahme unsittlicher Veröffentlichungen taucht erstmals
auf in der nationalrätlichen Kommission. Damals war das internationale
Übereinkommen vom 12. September 1923 zur Bekämpfung der Verbreitung und
des Vertriebes von unzüchtigen Veröffentlichungen in frischer Erinnerung
und das Bundesgesetz vom 30. September 1925 betreffend die Bestrafung
des Frauen- und Kinderhandels sowie des Vertriebes von unzüchtigen
Veröffentlichungen in Vorbereitung. Das EJPD wünschte - im Blick auf
diese Regelungen - im Zollgesetz eine Handhabe zur Verhinderung der
Einfuhr solcher Dinge über die Grenze. Der Nationalrat stimmte auf
Antrag seiner Kommission der heutigen Fassung des Art. 36 Abs. 4 ZG
zu (StenBull NR 1925 S. 75 f.). Im Ständerat wollte die vorberatende
Kommission den Begriff der "unsittlichen" Veröffentlichungen ersetzen
durch "unzüchtige" Veröffentlichungen. Sie suchte die Übereinstimmung
zum Text des internationalen Abkommens und des in Vorbereitung
befindlichen Strafgesetzes und wollte den allgemeinen Begriff "unsittlich"
vermeiden. Der Rat wog ausdrücklich die beiden Formulierungen gegeneinander
ab und bekannte sich mehrheitlich zum Begriff "unsittlich", den er als
etwas weiter als den Begriff "unzüchtig" verstand. Er tat dies, um - wie
sich ein Votant ausdrückte - "soweit möglich ist, diesen Dingen schärfer
auf die Eisen gehen zu können". Der Ständerat stimmte deshalb der vom
Nationalrat gewählten, heute geltenden Fassung zu (StenBull StR 1925 S. 225
f.). In der Folge bemühten sich die zuständigen Behörden des Bundes um die
Festlegung einer Praxis. Insbesondere tat dies das EJPD bei der Behandlung
von Beschwerden gegen Beschlagnahmeverfügungen der Bundesanwaltschaft
gemäss Art. 36 Abs. 4 ZG, wobei letzte Instanz bis zum 1. Oktober
1969 der Bundesrat war. Als unsittlich im Sinne dieser Bestimmungen
erachteten die Bundesbehörden jene Druckschriften, die das Schamgefühl
in geschlechtlicher Beziehung verletzen und bei denen die Absicht des
Herausgebers auf die geschäftliche Ausbeutung des Sexualinteresses
erkennbar ist (so die Definition im Geschäftsbericht des Bundesrates
von 1954 S. 231). Diese Begriffsbestimmung gleicht jener der damaligen
Rechtsprechung zu Art. 204 StGB. Hier wie dort wird das Schamgefühl des
normal empfindenden Bürgers in geschlechtlichen Dingen zum Ausgangspunkt
genommen. Im Unterschied zur Anwendung des Art. 204 StGB wird jedoch bei
der zollrechtlichen Beschlagnahme nicht vorausgesetzt, dass das Schamgefühl
"in nicht leicht zu nehmender Weise" verletzt wird. Jede Verletzung, wenn
sie als solche bei der Zollrevision klar zu erkennen ist, erfüllt den
gesetzlichen Tatbestand und muss zur vorläufigen Beschlagnahme durch die
Organe der Zollverwaltung unter Anzeige an die Bundesanwaltschaft führen.

    Diese durchaus sinnvolle Unterscheidung entspricht nicht nur
dem unterschiedlichen Wortlaut, sondern auch den verschiedenen
Zweckbestimmungen der beiden Vorschriften: Will Art. 204 StGB den
Schutz der Öffentlichkeit auf repressivem Weg erreichen, so dient
Art. 36 Abs. 4 ZG der Prävention. In der Erkenntnis, dass Gegenstände und
Veröffentlichungen unsittlicher Natur, haben sie die Zollgrenze passiert,
in ihrem Lauf nur schwer zu kontrollieren sind, soll die Einfuhr an der
Grenze vorläufig, d.h. provisorisch unterbunden werden.

    Seinem historischen Werdegang, seinem präventiven Zweck und
seinem Gehalte nach nähert sich der Begriff der Unsittlichkeit nach
Art. 36 Abs. 4 ZG demjenigen von Art. 212 StGB. Auch dieser Begriff
geht, dem Jugendschutzgedanken entsprechend, weiter als derjenige des
Unzüchtigen nach Art. 204 StGB (vgl. hierzu Urteil des Kassationshofes
vom 28. Mai 1971 i.S. Marti in BGE 97 IV 99 nicht publizierte Erwägung
3a). Das Bundesgericht ist daher in seinem Urteil vom 2. März 1973
zum Ergebnis gelangt, dass als unsittlich im Sinne von Art. 36 Abs. 4
ZG Veröffentlichungen und Gegenstände zu betrachten sind, die das
Sittlichkeits- und Schamgefühl des normal empfindenden Erwachsenen
verletzen und geeignet sind, die unreife Jugend durch Überreizung oder
Irreleitung des Geschlechtsgefühls in ihrer sittlichen Entwicklung zu
gefährden (BGE 99 Ib 67 f.).

    c) Dieser Begriff ist - entsprechend der aufgezeigten Zwecksetzung der
Norm - sehr weit gefasst. Er muss es aber auch sein, denn er ist Richtlinie
für die Zollbeamten, nach welcher diese bei der Revision zu entscheiden
haben, ob eine Veröffentlichung oder ein Gegenstand zu beschlagnahmen
ist oder nicht. Diese zollrechtliche Beschlagnahme hat aber von Gesetzes
wegen bloss vorläufigen, d.h. provisorischen Charakter, auch dann, wenn
die Bundesanwaltschaft einzig gestützt auf Verordnungsrecht (Art. 55 ZV)
entscheidet, die zollrechtliche Beschlagnahme sei aufrechtzuerhalten. Sache
der Bundesanwaltschaft und der ihr übergeordneten Rechtsmittelinstanzen
ist es, nachträglich und endgültig darüber zu befinden, was mit den
beschlagnahmten Gegenständen oder Veröffentlichungen zu geschehen hat. Dies
ist denn auch der Sinn der gesetzlichen Anzeigepflicht der Zollverwaltung
an die Bundesanwaltschaft. Allerdings schweigt sich das Gesetz darüber aus,
welche Massnahmen die Bundesanwaltschaft ergreifen darf und ergreifen muss.
Art. 36 Abs. 4 ZG weist hier eine Lücke auf; denn auf eine vorsorgliche
und provisorische Massnahme - die zollrechtliche Beschlagnahme - muss
notwendigerweise eine Verfügung folgen, die darüber befindet, was mit
den beschlagnahmten Sachen zu geschehen hat. Der Betroffene hat einen
Rechtsanspruch darauf, dass in der Sache ein endgültiger Entscheid ergeht.

Erwägung 5

    5.- Zum Entscheid in der Sache berufen, fallen für die
Bundesanwaltschaft verschiedene Massnahmen in Betracht: Sie kann die
beschlagnahmten Gegenstände oder Veröffentlichungen freigeben ohne oder
mit Auflagen und Bedingungen, u.a. unter der Auflage an den Importeur,
die Wiederkäufer darauf aufmerksam zu machen, dass im Handel Art. 212
StGB zu beachten ist. Sie kann die Einfuhr verweigern und den Importeur
veranlassen, dass die Sendung an den Absender im Ausland zurückerstattet
wird mit Verbot der Wiedereinfuhr. Sie kann die Sache an den zuständigen
Strafrichter überweisen mittels Strafanzeige wegen Einfuhr unzüchtiger
Veröffentlichungen verbunden mit dem Begehren um Einziehung durch den
Strafrichter gemäss Art. 204 StGB. Sie kann Klage beim zuständigen
Strafrichter auf Einziehung ohne Bestrafung einer bestimmten Person
erheben. Schliesslich fragt es sich, ob und unter welchen Bedingungen sie
selbst Gegenstände oder Veröffentlichungen einziehen und vernichten kann.

    Richtlinien für die Wahl der im Einzelfall zu treffenden Massnahme
lassen sich dem Gesetz, namentlich Art. 36 Abs. 4 ZG nicht entnehmen. Die
Wahl ist daher nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Gesetzmässigkeit
und der Verhältnismässigkeit von Verwaltungsmassnahmen zu treffen.

    a) Die weitest gehende Massnahme der Einziehung und Vernichtung
der Gegenstände und Veröffentlichungen durch die Bundesanwaltschaft
erscheint nur zulässig, wenn sie sich auf eine gesetzliche Grundlage
stützen lässt und gemessen am verfolgten Zweck verhältnismässig ist. Die
Bundesanwaltschaft anerkennt, dass die schweizerische Rechtssprache im
allgemeinen zwischen "Beschlagnahme" und "Einziehung" unterscheidet. Das
EJPD versucht aber darzutun, dass Art. 36 Abs. 4 ZG über seinen Wortlaut
hinaus zur Einziehung und allfälligen Vernichtung von Gegenständen
und Veröffentlichungen unsittlicher Natur ermächtigt. Es stützt seine
Auffassung auf den Werdegang der Bestimmung. Die Entstehungsgeschichte
zeigt, dass vorgängig des Erlasses des Zollgesetzes sich das Problem
der Einziehung unsittlicher Veröffentlichungen im Postrecht gestellt
hatte. Der Bundesgesetzgeber räumte der Postverwaltung dabei die sehr
weitgehende Kompetenz ein, Sendungen unsittlicher Natur zu beschlagnahmen
und zu vernichten (Art. 25 PVG). Mit der Einführung des Art. 36 Abs. 4 ZG
wollte nun das EJPD für das Zollrecht eine entsprechende Ordnung schaffen
wie im Postverkehrsgesetz, mit dem Unterschied, dass der Entscheid
über die "Beschlagnahme" nicht bei den Zollbehörden belassen, sondern
in die Hände der Bundesanwaltschaft gelegt würde. Zweck der Bestimmung
sollte es sein, aufgrund allgemeiner polizeilicher Bestimmungen alle
unzüchtigen Veröffentlichungen an der Grenze aufzuhalten. Im Parlament
war man sich aber offenbar bewusst, dass damit der Bundesanwaltschaft
eine sehr gewichtige Kompetenz eingeräumt würde. Stimmen wurden laut,
dass sich die Beschlagnahme nur auf Sendungen beziehen sollte, die
ohne Zweifel für die Verbreitung und den Handel bestimmt sind. Dies
entsprach dem damals in Vorbereitung stehenden und vorne bereits erwähnten
Bundesgesetz betreffend die Bestrafung des Frauen- und Kinderhandels sowie
der Verbreitung und des Vertriebes von unzüchtigen Veröffentlichungen
(Art. 4 Abs. 1), das wie das StGB in Art. 204 die Einfuhr unzüchtiger
Veröffentlichungen nur für strafbar erklärt, sofern die Einfuhr zum
Zwecke des Handels, der Verbreitung oder der öffentlichen Ausstellung
dient. Dieser Werdegang des Art. 36 Abs. 4 ZG legt den Schluss nahe,
dass hinsichtlich der Massnahmen, welche die Bundesanwaltschaft im
Anschluss an die provisorische zollrechtliche Beschlagnahme zu verfügen
hat, der Bundesanwaltschaft über den Wortlaut des Gesetzes hinaus die
Kompetenz zuerkannt werden darf, Gegenstände oder Veröffentlichungen
unsittlicher Natur allenfalls einzuziehen und zu vernichten. Dieses
Konfiskationsrecht der Bundesanwaltschaft muss sich aber auf Gegenstände
oder Veröffentlichungen beschränken, deren Einfuhr objektiv gesehen nach
Art. 204 StGB strafbar ist.

    Doch lassen sich auch Fälle denken, in denen die Einfuhr objektiv
nach Art. 204 StGB strafbar wäre, bei welchen aber das Gebot der
Verhältnismässigkeit von Verwaltungsmassnahmen es als angezeigt erscheinen
lässt, auf die Einziehung solcher Waren, die ja die Zollgrenze noch nicht
passiert haben, zu verzichten und den Importeur lediglich anzuhalten, die
Sendung an den Absender im Ausland zurückgehen zu lassen. Damit wird dem
Zweck des Art. 36 Abs. 4 ZG jedenfalls genüge getan: Es wird verhindert,
dass die Sendung die schweizerische Zollgrenze überschreitet.

    Die Bundesanwaltschaft ist bisher - wie sie selbst ausführt -
weiter gegangen. Sie hat ein Einziehungs- und Vernichtungsrecht auch bei
eingeführten Gegenständen und Veröffentlichungen bejaht, deren Einfuhr nach
Art. 204 StGB nicht strafbar ist. Sie erachtet, dass sie Art. 36 Abs. 4 ZG
auch zur Einziehung von Veröffentlichungen ermächtige, die zwar unzüchtig,
aber nicht für den Handel, die Verbreitung und die öffentliche Ausstellung
bestimmt sind, sowie für Veröffentlichungen, die nicht unzüchtig im Sinne
des Vergehenstatbestandes von Art. 204 StGB aber unsittlich im Sinne des
Übertretungstatbestandes von Art. 212 StGB sind. Eine derartige Ausweitung
der verwaltungsrechtlichen Konfiskationsbefugnis findet jedoch weder im
Wortlaut noch in der Entstehungsgeschichte des Art. 36 Abs. 4 ZG eine
ausreichende Stütze. Diese Norm kann nicht dahingehend ausgelegt werden,
dass dem Bund eine verwaltungsrechtliche Zensur- und Einziehungsbefugnis
eingeräumt ist für Schriften, deren Einfuhr nicht strafbar ist.

    Die Bundesanwaltschaft wendet freilich ein, es werde Umgehungen Tür
und Tor geöffnet, wenn ihre Einziehungsbefugnis sich auf Gegenstände und
Veröffentlichungen beschränke, die nachgewiesenermassen zum Zwecke der
Verbreitung oder des Handels oder der Ausstellung eingeführt würden. Die
Sendungen würden einfach an verschiedene Private adressiert, um der
Kontrolle zu entgehen. Diesem Einwand ist in dem Sinne Rechnung zu tragen,
dass aus Art. 36 Abs. 4 ZG durchaus neben dem Recht zur Einziehung auch
ein Recht zur beweissichernden Beschlagnahme abgeleitet werden kann. Die
Zollbehörden sind - wie dargelegt worden ist - durchaus befugt, in
jedem Falle, in dem sie auf eine unsittliche Veröffentlichung stossen,
die Sendung vorläufig zu beschlagnahmen; die Bundesanwaltschaft kann
diese Beschlagnahme im Sinne einer beweissichernden Massnahme bestätigen
(Art. 55 ZV), wenn sie glaubt, Anhaltspunkte zu besitzen, dass die Sendung
zusammen mit andern den Straftatbestand des Art. 204 StGB erfüllt. Ist
damit zu rechnen, dass die Einfuhren über die Grenzen verschiedener Kantone
erfolgen, so kann die Bundesanwaltschaft auch Ermittlungen nach Art. 259
BStP anordnen.

    b) Es fragt sich, welche Massnahme angemessen ist, wenn eine
Veröffentlichung oder ein Gegenstand zwar nicht unzüchtig im Sinne
von Art. 204 StGB ist, jedoch unsittlich im Sinne von Art. 212 StGB,
d.h. eine Veröffentlichung zwar eingeführt, jedoch an Jugendliche
unter 18 Jahren weder angeboten noch verkauft oder ausgeliehen sowie in
Auslagen oder Schaufenstern, die von der Strasse aus sichtbar sind, nicht
ausgestellt werden dürfen. Im Hinblick auf die erhebliche Bedeutung von
Art. 212 StGB ergibt sich aus der Anwendung des Art. 36 Abs. 4 ZG nach
dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, dass die Bundesanwaltschaft die
umstrittene Veröffentlichung zwar nicht einziehen und vernichten kann,
sondern unter Auflagen an den Importeur freizugeben hat. Dem Importeur
wird im Sinne einer Präventivmassnahme die Anweisung erteilt, es seien
die Detaillisten darauf aufmerksam zu machen, dass die Veröffentlichung
unter Art. 212 StGB fällt. Eine derartige Freigabe unter der Auflage,
dass jedes einzelne Exemplar auf der Verpackung einen entsprechenden
Hinweis tragen muss, der von den Buchhändlern und Kioskinhabern nicht zu
übersehen ist, wird dem Sinn und Zweck des Art. 36 Abs. 4 ZG gerecht.

    c) Es sind auch Fälle denkbar, da eine gänzliche Freigabe ohne
jedwelche Auflage angezeigt ist.

    Diese Möglichkeiten entsprechen der Verfahrensordnung des Art. 36
Abs. 4 ZG, wonach die Zollorgane bloss vorsorglich die Veröffentlichungen
und Gegenstände, die ihnen unsittlicher Natur erscheinen, mit
Beschlag belegen sollen und es der Bundesanwaltschaft übertragen ist,
zu entscheiden, ob und allenfalls welche weiteren Massnahmen ergriffen
werden müssen. Da der Begriff "unsittlicher Natur" - wie bereits erwähnt
- weitgefasst ist, hängt es vom Masstab des einzelnen Zollbeamten ab,
ob und wie weit er eine Sendung vorsorglich beschlagnahmen will. Sein
Entscheid sollte in der Regel eher streng ausfallen, was sinnvoll ist,
weil er nur vorsorglich verfügt. Aufgabe der Bundesanwaltschaft ist es
alsdann, eine einheitliche Praxis durchzusetzen.

Erwägung 6

    6.- Im vorliegenden Fall beabsichtigt der Beschwerdeführer, 500
Exemplare des umstrittenen Romans DLYS einzuführen, unbestrittenermassen
zum Zwecke des Handels. Der Sinn des angefochtenen Entscheids geht dahin,
nicht nur die vorläufige Beschlagnahme der Sendung zu bestätigen, sondern
die ganze Sendung einzuziehen. Unter Berücksichtigung der eben dargelegten
Grundsätze sind daher im folgenden die Rügen betreffend die Beschlagnahme
und Einziehung der beanstandeten Sendung zu beurteilen. Dabei ist vorab
zu prüfen, ob das umstrittene Buch wegen seiner Natur überhaupt Anlass
zu einer vorsorglichen Beschlagnahme durch die Organe des Zolls Anlass
geben konnte (nachfolgend lit. a); ist diese Frage zu bejahen, fragt sich
in zweiter Linie, ob der Roman DLYS eindeutig als unzüchtig im Sinne von
Art. 204 StGB zu qualifizieren ist und deshalb die Sendung eingezogen
und gegebenfalls vernichtet werden darf (nachfolgend lit. b). Muss die
zweite Frage verneint werden, ist schliesslich noch das Problem zu lösen,
ob der Roman vorbehaltlos freigegeben werden kann, oder welche Auflagen
allenfalls geboten sind (nachfolgend lit. c).

    a) Der Roman DLYS wird vom Herausgeber als ein "historischer Roman
aus der Ming-Zeit (1580-1644 n. Chr.) mit erstaunlich taoistischen
Liebespraktiken" bezeichnet. Das Buch enthält - so der Herausgeber -
"die erstaunliche Lebensgeschichte des wunderschönen und liebeslustigen
Mädchens Su-nngo". "Streng geschichtliche Überlieferung und taoistische
Deutung durch den Erzähler verflechten sich zu einer Legende, die aus
einer grossen und männerverführenden Schönheit, einer Schicksalsschwester
der griechischen Helena, eine Art erotischen Vampirs macht. Durch bewusst
erlernte Liebeskunst gelingt es dieser femme fatale, ihren männlichen
Partnern so viel ihrer göttlichen Lebens- und Zeugungskraft, so viel
ihres Yin zu entziehen, dass sie selbst davon die Unsterblichkeit und
die Entrückung in den Himmel gewinnt, gerade als wieder einmal irdische
Gerechtigkeit ihr zucht- und sittenloses Tun bestrafen wollte. Der Roman
der Dame Djia ist also zugleich ein historischer Bericht aus grauer
Vorzeit, eine erotische Geschichte mit vielen vergnüglichen Szenen, eine
Art Kriminalroman und ein moralisch-religiöser Traktat über Sinn und
Ziel der menschlichen Liebessehnsucht und -erfüllung." Im Buch werden
12 erotische Holzschnitte aus der Ming-Zeit wiedergegeben, die einem
1951 in Tokio erschienen Werk "Erotic colour prints of the Ming Period"
entnommen sind. Der Herausgeber ist sich offenbar bewusst, dass sich das
Buch nicht zur Ausgabe an jedermann eignet. Eingangs führt er nämlich
die Bemerkung an, dass wer das Werk öffentlich ausstelle und wer es
Jugendlichen unter 18 Jahren vorzeige, übergebe, anbiete, verkaufe oder
ausleihe, strafrechtliche Ahndung zu gewärtigen habe.

    Bei einer summarischen Prüfung, wie sie die Zollorgane bei der
Zollrevision vorzunehmen haben, präsentiert sich das Buch DLYS als
erotisch-historisch märchenhafter Roman, dessen Hauptthema auf die
Beschreibung der Liebeserlebnisse einer schönen Heldin - Dschu-lin
Yä-schi - gerichtet ist. Die Szenen sind eingebettet in die Welt der
altchinesischen Kultur und schildern Geschlechtsakte, die sich in
voller Hemmungslosigkeit abspielen. In dieser Sicht kann kein Zweifel
darüber bestehen, dass der Roman als "unsittlicher Natur" im Sinne von
Art. 36 Abs. 4 ZG zu qualifizieren ist. Dies wird durch den Hinweis
des Herausgebers zu Beginn des Buches selbst bestätigt. Als solcher
bot der Roman bei der Zollrevision Anlass zu einer provisorischen
Beschlagnahme. Die vorsorgliche Beschlagnahme ist somit nicht zu
beanstanden.

    b) Für die Bundesanwaltschaft stellt sich im Hinblick auf die
Einziehung und die allfällige Vernichtung der Sendung die Frage,
ob der Roman DLYS unzüchtig im Sinne von Art. 204 StGB ist. Bei der
Beantwortung dieser Frage haben sich die Verwaltungsbehörden an den von
der Strafrechtspflege erarbeiteten Kriterien zu orientieren.

    Als unzüchtig im Sinne von Art. 204 StGB gilt nach der
Strafrechtsprechung ein Gegenstand, wenn er in nicht leicht zu nehmender
Weise gegen das Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlichen Dingen verstösst,
so dass sich die Bestrafung des Vergehens mit Gefängnis oder Busse
rechtfertigt. Darunter fällt in erster Linie die sog. eigentliche
Pornographie. In Fällen, die nicht zur eigentlichen Pornographie zu
zählen sind, ist Art. 204 StGB mit Zurückhaltung und erst anzuwenden,
wenn die Darstellung geschlechtlicher Vorgänge eindeutig den von der
überwiegenden Mehrheit des Volkes getragenen sittlichen Vorstellungen
zuwiderläuft und somit als Störung oder Belästigung der sozialen Ordnung
angesehen werden muss (BGE 96 IV 68 E. 3; vgl. auch 99 IV 59 f.). Gehen
auch die Verwaltungsbehörden von diesen strafrechtlichen Kriterien aus
bei der Bestimmung der aufgrund von Art. 36 Abs. 4 ZG zu verfügenden
Massnahme, so wird damit dem Gebot der verfassungskonformen Auslegung,
wie sie vom Beschwerdeführer gefordert wird, entsprochen. Es muss in
der Tat verlangt werden, dass bei Bestimmungen, die ein Freiheitsrecht
einschränken und mit auslegungsbedürftigen Begriffen arbeiten, diejenige
Auslegung gewählt wird, die mit der Verfassung in Einklang steht. Das
bedeutet, dass die gesetzliche Einschränkung der Pressefreiheit
nicht weiter gehen kann, als es der Schutz eines von der Verfassung
gewährleisteten Polizeigutes gebietet. Diese Polizeigüter, die oft unter
dem Begriff "öffentliche Ordnung" zusammengefasst werden, sind im Falle
des Art. 204 StGB einerseits die "öffentliche Sittlichkeit" im Sinne des
übergreifenden Marginales zu den Artikeln 203 und 204 StGB, anderseits
der Jugendschutz im Sinne von Art. 204 Ziff. 2 StGB. Was unter den Begriff
der "öffentlichen Sittlichkeit" im einzelnen fällt, ist umstritten. Doch
umfasst dieses Polizeigut auf jeden Fall das allgemeine Interesse daran,
dass keine pornographischen Publikationen im eigentlichen Sinne eingeführt
und in den Handel gebracht werden. Anderseits kann das nach Art. 204
Ziff. 1 StGB schützenswerte Rechtsgut der "öffentlichen Sittlichkeit" nur
darin bestehen, das Sitten- oder Schamgefühl breiter Bevölkerungskreise
davor zu schützen, dass Veröffentlichungen auf den Markt kommen, die bei
einem normal empfindenden Betrachter oder Leser Abscheu oder Widerwillen
erzeugen. Der Grad der Anstössigkeit muss derart sein, dass sich nach
einer allgemeinen Rechtsüberzeugung eine Bestrafung rechtfertigt. Dann
ist aber auch die Einziehung nicht nur statthaft, sondern geboten.

    Im Lichte dieser Überlegungen und anhand des zugänglichen
Vergleichsmaterials beurteilt, wäre der unzüchtige Charakter des Romans
DLYS angesichts der Häufung von Darstellungen eines hemmungslosen
Sexualverkehrs eher zu bejahen, wenn ein zeitgenössischer Autor den
umstrittenen Roman verfasst hätte. Denn es lässt sich nicht bestreiten,
dass die bis in alle Einzelheiten gehende Darstellung von Sexualorgien und
die Schreibweise an sich in einer nicht leicht zu nehmenden Art gegen das
Sittlichkeitsempfinden in geschlechtlichen Dingen verstossen. Auch müssten
einzelne Holzschnitt-Reproduktionen, wenn sie öffentlich ausgestellt oder
an Jugendliche vorgezeigt würden, als unzüchtig bezeichnet werden. Doch
ist dies noch nicht entscheidend. Wie erwähnt, ist darauf abzustellen,
ob der Gesamteindruck des Romans bei einem normal urteilenden und
empfindenden Leser Abscheu und Widerwillen verursacht, m. a. W., ob das
Buch zur eigentlichen Pornographie zu zählen ist oder - im Sinne von BGE
96 IV 70 f. - zu den sog. "andern Fällen", bei denen hinsichtlich der
Qualifikation als unzüchtige Veröffentlichungen Zurückhaltung geboten ist.

    Unter diesem Gesichtspunkt darf angenommen werden, dass dieser vor
Jahrhunderten in China geschriebene Roman anders auf den Leser wirkt,
als ein heute geschriebenes Buch. Bei einem Grossteil der Bevölkerung,
auch bei Lesern, die für sich persönlich eine starke Gebundenheit
der geschlechtlichen Beziehungen bejahen, dürfte nach allgemeiner
Lebenserfahrung das Buch weder Abscheu noch Widerwillen erregen. Viele
Leser, die das Buch gegebenenfalls in die Hände bekommen, werden es
anfänglich interessant, vielleicht sogar amüsant finden, nach einer
teilweisen Lektüre sich aber auf die Dauer doch eher langweilen. Schwere
anstössige Perversitäten, wie sie zum Teil im Buche "Jou Pu Than" (siehe
hierzu BGE 87 IV 73) dargestellt und ausführlich geschildert werden,
finden sich im Roman DLYS nicht.

    Zwar rechnet der Herausgeber des Werkes offenbar damit, dass das
Buch nicht so sehr aufgrund seines angeblich wissenschaftlichen Wertes,
sondern gerade im Hinblick auf seinen pikant erotischen Charakter zu
einem Erfolg auf dem Büchermarkt wird. Das Buch wird denn auch vom
Grossteil der Leser nicht so sehr aus wissenschaftlichem, sondern eher
aus sexuell-erotischem Interesse gekauft und gelesen werden. Doch ist
ausschlaggebend, dass diese ganze Erotik - wie erwähnt - in eine fremde,
vergangene, mythologisch-märchenhaft anmutende, den Leser gegebenenfalls
faszinierende Kultur eingebettet ist. Mag fachliteralisch gesehen der
wissenschaftliche Wert des Buches zweifelhaft und der Urtext bei der
Übersetzung verschiedentlich ergänzt oder inhaltlich abgeändert worden
sein, so liest sich der Roman doch in der hier vorliegenden Übersetzung
gut. Breite Bevölkerungskreise unseres Landes könnten heute nicht mehr
einsehen, dass ein solch loser Roman durch staatliche Zensurmassnahme
verwaltungsrechtlichen Charakters den erwachsenen Lesern vorenthalten wird.

    In dieser Sicht unterscheidet sich der umstrittene Roman aus der
Ming-Zeit als Ganzes betrachtet deutlich von den vielen platten und geilen
Erzeugnissen der Pornographie unserer Zeit. Er ist, verglichen mit dem,
was heute auf dem Bücher- und Zeitschriftenmarkt frei erhältlich ist, zu
der Kategorie von Veröffentlichungen zu zählen, die zwar keineswegs eine
wertvolle Bereicherung des Angebotes darstellen, die jedoch nicht als
unzüchtig im Sinne des strengen Begriffes von Art. 204 Ziff. 1 StGB zu
betrachten sind. Das hat zur Folge, dass die von der Bundesanwaltschaft
definitiv verfügte "Beschlagnahme", die Einziehung, im Lichte des
verfassungsrechtlichen Verhältnismässigkeitsprinzips bundesrechtswidrig
ist und daher aufgehoben werden muss.

    c) Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob - wie dies der
Beschwerdeführer begehrt - der Roman vorbehaltlos, d.h. ohne jedwelche
Auflage freigegeben werden darf, oder ob allenfalls eine weniger
einschneidende Massnahme als die Einziehung notwendig ist. Letzteres ist
namentlich der Fall, wenn das Buch als "unsittlich" im Sinne von Art. 212
StGB zu werten wäre; dann darf das Buch zwar eingeführt und verkauft
werden, doch nur unter den durch den Jugendschutz gebotenen Bedingungen.

    Wie bereits festgestellt wurde, ist der Roman DLYS geeignet,
die sittliche oder gesundheitliche Entwicklung von Kindern oder
Jugendlichen durch Überreizung und Irreleitung des Geschlechtsgefühls
zu gefährden. Dies wird vom Herausgeber im Vorwort selbst anerkannt. Die
These des Beschwerdeführers, wonach niemand an einer derartigen Publikation
Schaden nehmen könne, erscheint deshalb nicht nur unzutreffend, sie ist
widersprüchlich.

    Fraglich ist, ob der auf der ersten Seite des umstrittenen Werkes
angebrachte Hinweis des Verlegers auf den jugendgefährdenden Inhalt
des Buches genügen kann, um die Buchhändler und Kioskinhaber darauf
aufmerksam zu machen, dass das Buch als unsittlich im Sinne von Art. 212
StGB zu qualifizieren ist und dass die entsprechenden Vorsichtsmassnahmen
zu beachten sind. Im Rahmen des heutigen Buchhandels kann nämlich kaum
erwartet werden, dass der einzelne Detaillist von sich aus ein derartiges
Buch öffnet und so auf den Hinweis des Verlegers stösst. Es ist daher
Aufgabe der Bundesanwaltschaft, im Sinne des eben Erläuterten zu prüfen,
mit welcher Auflage die Freigabe des Buches zu verbinden ist, damit
Aussicht auf eine Respektierung von Art. 212 StGB beim Weiterverkauf
besteht. Mit einer blossen Mitteilung an den Importeur, dass das Buch
unter die Jugendschutznorm des Art. 212 StGB fällt, ist wenig Gewähr
dafür geboten, dass Buchhändler und Kioskinhaber die nach Art. 212 StGB
verlangten Vorsichtsmassnahmen treffen.

    Die Sache wird daher an die Bundesanwaltschaft zurückgewiesen,
damit sie über die Frage entscheide, unter welchen Auflagen der Roman
DLYS freigegeben werden kann.