Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IB 37



100 Ib 37

6. Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. März 1974 i.S. X. und Y. gegen
Firma Z. und Direktion der Justiz des Kantons Zürich. Regeste

    Handelsregister.

    Voraussetzungen, unter denen ein Gesellschaftsgläubiger verlangen
darf, dass eine gelöschte Gesellschaft im Register wieder eingetragen wird
(Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    X. und Y. hatten sich mit der Liquidation einer Gesellschaft zu
befassen, die sie am 11. August 1972 zur Löschung anmeldeten. Die Löschung
verzögerte sichjedoch, da die Steuerbehörden ihr erst im Frühjahr 1973
zustimmten.

    Am 7. Oktober 1972 machte die Firma Z. gegenüber der Gesellschaft
eine Forderung geltend, deren Begleichung von den Liquidatoren abgelehnt
wurde. Im August 1973 ersuchte die Firma die Handelsregisterbehörde um
Wiedereintragung der Gesellschaft. Die Direktion der Justiz des Kantons
Zürich wies die Liquidatoren daraufhin mit Verfügung vom 6. Dezember
1973 an, die Gesellschaft binnen zehn Tagen wieder eintragen zu lassen,
andernfalls das Handelsregisteramt die Eintragung von Amtes wegen
vorzunehmen habe.

    X. und Y. führen gegen diese Verfügung Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
die vom Bundesgericht abgewiesen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Wer als Gläubiger einer Aktiengesellschaft an deren
Wiedereintragung im Handelsregister interessiert ist und sie verlangt,
hat die Voraussetzungen für die Eintragung, insbesondere den Bestand der
behaupteten Forderung, nur glaubhaft zu machen (BGE 57 I 42, 60 I 29, 64 I
335, 78 I 454, 87 I 303). Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung,
dass es nicht Sache der Handelsregisterbehörde oder der Beschwerdeinstanz
sein kann, über die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Eintragung
oder Löschung abschliessend zu entscheiden; das ist im Streitfalle vielmehr
Aufgabe des ordentlichen Richters. Die Registerbehörde darf insbesondere
in Fällen, in denen ein Rechtsverhältnis von einer Eintragung abhängt,
dessen Entstehung oder Wiederentstehung durch Ablehnung der Eintragung nur
verhindern, wenn offensichtlich ist, dass es dem materiellen Zivilrecht
widerspricht (BGE 87 I 107 und dort angeführte Urteile; 91 I 362, 95 I 66
Erw. 3). Würde der Registerbehörde eine weitergehende Befugnis eingeräumt,
so könnte sie dem Gläubiger einen Prozess gegen die Gesellschaft selber
verwehren. Sie hat daher die Gesellschaft im Zweifel wieder einzutragen.

    Die Wiedereintragung ist jedoch unbekümmert darum, dass der Gläubiger
die Forderung glaubhaft macht, zu verweigern, wenn er seine Ansprüche auf
einem anderen, ihm ebenfalls zumutbaren Wege durchsetzen kann. Diesfalls
ist ihm ein schutzwürdiges Interesse an der Wiedereintragung abzusprechen,
und er muss sich Rechtsmissbrauch vorwerfen lassen, wenn er auf der
Eintragung beharrt (BGE 60 I 29 Erw. 3, 64 I 336 Erw. 2, 87 I 303). Da
nach Art. 2 Abs. 1 ZGB nur der offenbare Rechtsmissbrauch keinen Schutz
findet, ist der Begriff des schutzwürdigen Interesses indes nicht eng zu
fassen (nicht veröffentlichtes Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. März
1965 i.S. Rees).

    Dasselbe gilt für die Verteilung von Gesellschaftsaktiven (BGE 64 I
337/8). Auch hier darf die Registerbehörde nur abklären, ob offensichtlich
kein Vermögen mehr vorhanden ist, wobei sie aber auch Möglichkeiten
berücksichtigen kann, die von den interessierten Parteien nicht erwähnt
werden; denn ob eine Gesellschaft auf Begehren eines Gläubigers wieder
einzutragen sei, hat sie von Amtes wegen, unbekümmert um die Vorbringen
der Parteien, zu prüfen.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführer kritisieren vorweg die Rechtsprechung
des Bundesgerichts, die den wirtschaftlichen Verhältnissen nicht mehr
gerecht werde; richtigerweise sollten die legitimen Interessen der
Gesellschaft gegen diejenigen ihrer Gläubiger abgewogen werden. Die
Liquidation einer Gesellschaft mit weitverzweigter Geschäftstätigkeit
sei eine äusserst komplizierte Angelegenheit. Nachträgliche Forderungen
bedingten kostspielige Vorkehren und eine Berichtigung der Schlussbilanz,
insbesondere auch gegenüber den Steuerbehörden. Jede Verzögerung
komme teuer zu stehen. Die Liquidatoren müssten daher oft zweifelhafte
Forderungen anerkennen, um weitere Kosten, namentlich auch Steuern, die
bis zum Abschluss der Liquidation geschuldet seien, zu vermeiden. Auch
im vorliegenden Fall könnten die Liquidatoren die Wiedereintragung bei
Abweisung der Beschwerde nur dadurch verhindern, dass sie die angebliche
Forderung beglichen. Wegen dieser Folgen müsse das Begehren des Gläubigers
zeitlich wie in der Substanzierung gewissen Mindestanforderungen genügen,
andernfalls die Wiedereintragung unbillig wäre und Erpressungsmanövern
den Weg ebnen würde.

    Damit verkennen die Beschwerdeführer indes die der Registerbehörde
zustehenden Aufgaben und Befugnisse, welche für die bisherige
Rechtsprechung gerade entscheidend gewesen sind. Die Registerbehörde
müsste einlässlich abklären können, ob eine nachträglich geltend gemachte
Forderung tatsächlich begründet sei, wenn sie einer Gesellschaft die von
den Beschwerdeführern angeführten Folgen ersparen wollte. Dazu ist sie
aber weder in der Lage noch verfügt sie über die gesetzlichen Mittel. Eine
einlässliche Abklärung widerspräche vielmehr ihrer gesetzlichen Stellung,
da sie grundsätzlich nur zu registrieren, nicht mit abschliessender
Entscheidungsbefugnis in die Rechtsbeziehungen einzugreifen hat (BGE 86 I
107). Die von den Beschwerdeführern angeregte Abwägung der gegenseitigen
Interessen hilft darüber nicht hinweg. Über die Interessen des Gläubigers
lässt sich endgültig nur entscheiden, wenn geklärt ist, ob die Forderung
zu Recht geltend gemacht werde.

    Eine Änderung der Rechtsprechung im Sinne der Beschwerde wäre auch
sachlich nicht gerechtfertigt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse gebieten
im Gegenteil, an den während Jahrzehnten entwickelten Grundsätzen zum
Schutze des Gesellschaftsgläubigers festzuhalten. Insbesondere ist nicht
zu verstehen, dass die Kosten der Liquidation und steuerrechtliche
Überlegungen mitzuberücksichtigen seien. Diese Umstände berühren
die Rechtsbeziehungen zwischen der Gesellschaft und ihren Gläubigern
ebensowenig wie andere Schwierigkeiten der Liquidation, können folglich
das Interesse eines Gläubigers an einer gerichtlichen Auseinandersetzung
nicht aufheben.

Erwägung 3

    3.- Das ist auch den weiteren Einwänden der Beschwerdeführer
entgegenzuhalten. Sie laufen darauf hinaus, die Anforderungen an
die zeitliche Anmeldung und an die Substanzierung der Forderung
zu erhöhen, wobei nach der Meinung der Beschwerdeführer die
Registerbehörde im Streitfall darüber zu befinden hätte, ob der Anspruch
des Gesellschaftsgläubigers den erhöhten Anforderungen genüge. Der
Gläubiger ist berechtigt, den Streit über den Bestand seiner Forderung im
ordentlichen Gerichtsverfahren auszutragen, wenn sein Begehren, die als
liquidiert gelöschte Gesellschaft wieder einzutragen, nicht offensichtlich
missbräuchlich ist. Dass die Beschwerdegegnerin ihre Forderung erst am
7. Oktober 1972, d.h. nach Ablauf der im Schuldenruf vorgesehenen Frist
angemeldet hat, schadet ihr nicht. Die Gesellschaft befand sich damals nach
den eigenen Angaben der Beschwerdeführer noch in Liquidation, war also noch
nicht gelöscht. Auch liegt nichts dafür vor, dass die Beschwerdegegnerin
die Anmeldung ihrer Forderung wider Treu und Glauben verzögert habe.

    Den Vorwurf, die Beschwerdegegnerin habe ihre Forderung mangelhaft
substanziert, versuchen die Beschwerdeführer insbesondere damit zu
begründen, es handle sich bei der angeblichen Garantieerklärung, die
dem Anspruch zugrunde liege, nicht um einen Garantievertrag, sondern
um eine Bürgschaft; diese sei gemäss Art. 493 OR aber ungültig, weil
sie keinen bestimmten Höchstbetrag enthalte. Die Verpflichtung sei
zudem offensichtlich akzessorisch gemeint gewesen und wäre auch als
Garantieversprechen ungültig, da wesentliche Merkmale fehlen. Darüber
endgültig zu befinden, kann indes ebenfalls nicht Sache der Registerbehörde
sein. Die langen Ausführungen der Beschwerdeführer zeigen gerade, wie sehr
die Frage umstritten ist und dass sie erst noch einlässlicher Abklärung
bedarf. Die Vorinstanz hält ihnen übrigens mit Recht entgegen, dass
Garantievertrag und Bürgschaft sich sowohl wirtschaftlich wie rechtlich
sehr ähnlich und daher nicht leicht von einander zu unterscheiden sind.

    Ein schutzwürdiges Interesse an der Wiedereintragung der Gesellschaft
kann der Beschwerdegegnerin auch nicht damit abgesprochen werden,
die Gesellschaft sei schon 1971 mit mehr als 1,1 Millionen Franken
überschuldet gewesen; ausserdem könne die Beschwerdegegnerin ihr Ziel auch
dadurch erreichen, dass sie gegen die Liquidatoren klage. Einen solchen
Schuldnerwechsel braucht sich die Beschwerdegegnerin nicht gefallen zu
lassen. Sie darf sich unbekümmert um die Überschuldung der Gesellschaft an
den bisherigen Schuldner halten, wenn sie die Risiken eines Prozesses auf
sich nehmen will (BGE 64 I 336). Die angeblichen Unterschiede zwischen
dem Fall, der diesem Entscheide zugrunde lag, und dem vorliegenden,
rechtfertigen keine Abweichung von der Rechtsprechung. Von den Liquidatoren
könnte die Beschwerdegegnerin bloss Schadenersatz verlangen. Sie hätte
nicht nur den Bestand der Forderung, sondern auch eine Verletzung der
Sorgfaltspflicht durch die Liquidatoren sowie den daraus entstandenen
Schaden nachzuweisen, wäre also prozessual schlechter gestellt als bei
einer Klage gegen die Gesellschaft selber. Sie reichte gegen diese denn
auch schon ein Sühnebegehren ein, bevor die Gesellschaft im Handelsregister
gelöscht wurde. Von einem offenbaren Rechtsmissbrauch kann daher auch
hier nicht die Rede sein.