Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IB 318



100 Ib 318

54. Auszug aus dem Urteil vom 20. Dezember 1974 i.S. Genossenschaft für
Vieh- und Fleischimport und Konsorten gegen Viehbörse und Konsorten
und Eidg. Volkswirtschaftsdepartement. Regeste

    Einfuhrkontingentierung für Fleisch aus Süd-Rhodesien.

    Ein gemischtes System, das mit einem doppelten Schlüssel sowohl
die bisherigen Handelsbeziehungen möglichst schonen wie auch die
Gewerbegenossen möglichst gleichbehandeln will, verstösst nicht gegen
die Verfassung.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Nach dem Handelsembargo der UNO gegen Süd-Rhodesien erliess der
Bundesrat gestützt auf Art. 102 Ziff. 8 BV am 17. Dezember 1965 besondere
Einfuhrbeschränkungen gegenüber diesem Lande (AS 1965, 1205). Der
massgebende Art. 1 jenes Bundesratsbeschlusses lautet in der Fassung vom
10. Februar 1967:

    "1 Für die Einfuhr von Waren aus Süd-Rhodesien ist eine Bewilligung
erforderlich.

    2 Die Bewilligungen werden nach Massgabe des durchschnittlichen
Importvolumens der Jahre 1964, 1965 und 1966 erteilt.

    3 Das Volkswirtschaftsdepartement ist beauftragt, hierfür die
Durchführungsvorschriften zu erlassen."

    Die Beschwerdegegnerinnen führten vor dem Embargo Fleisch
aus Süd-Rhodesien ein und erhielten deshalb Importkontingente
entsprechend ihren früheren Einfuhren. Als dann auch andere
Importeure aus Süd-Rhodesien Fleisch einführen wollten, bestimmte das
Eidg. Volkswirtschaftsdepartement (EVD) durch Verordnung vom 6. September
1972, dass ab 1. Januar 1973 die Einfuhrbewilligungen den Importeuren
nach den Grundsätzen der Schlachtviehordnung (SVO) vom 27. September
1971 erteilt würden. Infolge des neuen Verteilungsschlüssels wurde das
Einfuhrkontingent der Beschwerdegegnerin 1 von bisher 2070 t auf 890,5 t
gekürzt. Hiegegen beschwerte sich diese beim Bundesgericht, das mit Urteil
vom 21. September 1973 (in ZBl 75/1974, S. 92) die Beschwerde guthiess. Das
Bundesgericht nahm an, Art. 1 Abs. 2 des genannten BRB lege nicht nur
die Gesamteinfuhrmenge fest, sondern regle auch die Kontingentszuteilung;
das EVD könne davon nicht abweichen. Wenn die sich aus dem BRB ergebende
Lösung nicht mehr befriedige, habe das EVD dem Bundesrat eine Änderung
des BRB zu beantragen.

    In der Folge beschloss der Bundesrat mit einem "BRB (3) über die
Beschränkung der Einfuhr vom 6. Februar 1974" (AS 1974, 487) eine
neue Ordnung. Danach werden nun 70% der Kontingente im Verhältnis der
Durchschnittseinfuhren 1964, 1965 und 1966 verteilt und 30% nach den
Bestimmungen der SVO. Mit Verfügung vom 25. Februar 1974 wurden die
Kontingente entsprechend festgesetzt. Hiegegen beschwerten sich die
Beschwerdeführer beim EVD erfolglos. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
rügen sie den vom Bundesrat gewählten neuen Schlüssel als willkürlich
und zudem Art. 31 BV verletzend.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der BRB (3) vom 6. Februar 1974 ist eine selbständIge,
direkt auf die Bundesverfassung abgestützte Rechtsverordnung. Dies
schliesst jedoch nicht aus, dass das Bundesgericht vorfrageweise die
Verfassungsmässigkeit prüft (BGE 64 I 364). Während aber - auch bei
gesetzesvertretenden - unselbständigen Rechtsverordnungen grundsätzlich
zunächst die Gesetzmässigkeit und erst dann die Verfassungsmässigkeit
zu prüfen ist (vgl. bezüglich der SVO: BGE 99 Ib 165 und 189),
kommt bei selbständigen Rechtsverordnungen nur eine Überprüfung der
Verfassungsmässigkeit in Betracht. Dabei wird von den Beschwerdeführern
nicht bestritten, dass der Bundesrat gestützt auf Art. 102 Ziff. 8 BV
gegebenenfalls Massnahmen treffen kann, die zur Wahrung der Interessen
der Eidgenossenschaft nach aussen notwendig sind, auch wenn sie in ein
Grundrecht der Bürger eingreifen. Von den übrigen Einfuhrbeschränkungen
für Waren aus Süd-Rhodesien gemäss BRB vom 10. Dezember 1965 unterscheiden
sich die hier zu beurteilenden Einfuhrbeschränkungen dadurch, dass sie
sich auf Erzeugnisse beziehen, die ohnehin schon einer verfassungsmässig
zulässigen Einfuhrbeschränkung gemäss Art. 23 LWG unterstehen. Während
aber nach SVO die einzelnen Importeure frei sind, wo sie sich im Rahmen
ihres Einfuhrkontingents eindecken wollen, wird durch den BRB (3) ihre
Wahlfreiheit in dem Sinne eingeschränkt, dass die Fleischeinfuhren
aus Süd-Rhodesien noch einer besonderen zusätzlichen Beschränkung
unterworfen sind. Die Beschwerdeführer nehmen an, trotz der grundsätzlich
verfassungskonform eingeschränkten Wirtschaftsfreiheit für Fleischwaren
entfalte die Handels- und Gewerbefreiheit doch im vorliegenden Falle
insoweit eine Rechtswirkung, als die einzelnen von den Handelsmassnahmen
gegen Süd-Rhodesien betroffenen Importeure gleich zu behandeln seien;
dies sei nur gewährleistet, wenn das gesamte Rhodesienkontingent unter
ihnen nach den Grundsätzen der SVO, d.h. nach den gesamten Inlandabsätzen,
aufgeteilt werde.

    Demgegenüber leiten EVD und Beschwerdegegnerinnen aus der Verfassung
ab, wenn schon in die Wirtschaftsfreiheit eingegriffen werden müsse,
habe diese möglichst schonend zu geschehen, so dass die bisherigen
Handelsbeziehungen nicht mehr als unbedingt nötig tangiert würden; das
rechtfertige die sog. "historischen Kontingente". Da aber diese für den
Inhaber Vorteile mit sich brächten, müsse bei längerer Kontingentierung den
Konkurrenten ermöglicht werden, an den Einfuhren ebenfalls teilzunehmen,
selbst wenn dies zu einer entsprechenden Kürzung der Kontingente der
ursprünglichen Importeure führe. Mit dem Wunsch einerseits nach einer
möglichsten Schonung der bisherigen Handelsbeziehungen und anderseits nach
einer möglichsten Gleichbehandlung der Gewerbegenossen stünden sich zwei
Grundsätze gegenüber, die sich gegenseitig ausschlössen, sich aber beide
aus der Verfassung ableiten liessen. Bundesrat und EVD glauben deshalb,
durch ein gemischtes System (70% gemäss früheren Einfuhren, 30% nach SVO)
beiden Grundsätzen kompromissweise am ehesten gerecht zu werden.

    a) In der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts lässt sich
nichts finden, was die Auffassung des Bundesrates verfassungsrechtlich
als nicht vertretbar erscheinen liesse. Keiner der diesbezüglichen
Entscheide (vgl. BGE 88 I 276, 95 I 289, 99 Ib 159 und 185) schliesst
aus, dass sich eine Kontingentierungsordnung grundsätzlich an die früher
getätigten Einfuhren anlehnt. Aus Art. 23 Abs. 4 LWG wird nur eine
Pflicht zur periodischen Anpassung der Kontingentsordnungen abgeleitet,
um wechselnden Verhältnissen gerecht zu werden oder, wie in BGE 99 Ib
170 f. gesagt wird, um "eine Erstarrung zu vermeiden". Freilich wird
man annehmen können, dass diese Bestimmung einen Grundsatz zum Ausdruck
bringt, welcher der Handels- und Gewerbefreiheit entspringt. Es dürfte in
der Tat bei Einfuhrbeschränkungen nicht angehen, auf unbeschränkte Zeit
hinaus einen Markt ausschliesslich den anfänglichen Kontingentsinhabern
vorzubehalten. Gewisse Öffnungen und Änderungen der Kontingentsordnungen
sind somit auf Grund der Verfassung geboten. Mehr lässt sich jedoch aus
Art. 31 BV für einfuhrbeschränkte Importe nicht ableiten. In der Frage,
wann und wie solche Anpassungen zu erfolgen haben, muss dort, wo das
Gesetz schweigt, dem Bundesrat ein weites Ermessen eingeräumt werden. Im
Lichte dieser Auführungen kann man sich fragen, ob der Bundesrat Art. 31
BV voll respektierte, wenn er bis zum 6. Februar 1974 mit einer Anpassung
der seit Ende 1965 geltenden Kontingentsordnung zuwartete. Doch ist dies
heute nicht mehr zu prüfen, da er mit dem BRB (3) jedenfalls eine gewisse
Anpassung vorgenommen und insofern dem Gebot von Art. 31 BV genügt hat.

    b) Die Beschwerdeführer glauben freilich, diese Anpassung sei
ungenügend; es müsse unabhängig von den früheren Einfuhren ausschliesslich
auf die Inlandumsätze abgestellt werden, wie dies in der SVO vorgesehen
sei. Allein, diese Argumentation greift nicht durch.

    Das EVD hat im angefochtenen Entscheid bereits ausgeführt, weshalb
die Einfuhrbeschränkungen gegenüber einem bestimmten Land einen wesentlich
anderen Charakter haben als solche für ein bestimmtes landwirtschaftliches
Erzeugnis gestützt auf Art. 23 LWG. Müssen gegenüber einem bestimmten
Land besondere Einfuhrbeschränkungen verhängt werden, so treffen sie
nicht alle Importeure der Branche, sondern nur jene, die bisher aus diesem
Lande importiert haben. Da nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit
in bestehende, rechtlich schützenswerte Interessen nicht mehr als
notwendig eingegriffen werden soll, ergibt sich als erstes Gebot, dass
bereits eingespielte Geschäftsbeziehungen eine gewisse Rücksichtnahme
verdienen. Erst in zweiter Linie kommt das Gebot, diese Rücksichtnahme
nicht zu einem Dauerprivileg auswachsen zu lassen und folglich mit der Zeit
einen Abbau und Umbau des historischen Kontingentsystems anzustreben. Der
nunmehr vom Bundesrat gewählte doppelte Schlüssel ist also keineswegs in
sich widersprüchlich, sondern er versucht, kompromissweise zwei einander
entgegengesetzte Gedanken, die sich beide auf Art. 31 BV zurückführen
lassen, je teilweise zur Geltung zu bringen. Diese Ordnung hält sich
durchaus im Rahmen des Ermessens, das sowohl Art. 102 Ziff. 8 BV als
auch Art. 31 BV dem Bundesrat einräumen. Die Lösung ist entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführer durchaus verfassungsmässig und vertretbar.