Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IB 274



100 Ib 274

45. Urteil des Kassationshofes vom 3. Dezember 1974 i.S. X. gegen
Regierung des Kantons Graubünden. Regeste

    Art. 75 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 2 StGB.

    Diese Bestimmung will nicht sagen, nach Ablauf der absoluten Frist
dürfe die Strafe auch ungeachtet der in Art. 75 Ziff. 1 aufgezählten
Gründe des Ruhens der Verjährung nicht mehr vollzogen werden.

Sachverhalt

    A.- Das Kreisgericht Chur verurteilte X. am 7. Oktober 1964 zu acht
Monaten und am 10. November 1966 zu weiteren zwei Monaten Gefängnis. Es
schob die erste Strafe bedingt auf, ordnete jedoch am 27. Juli 1967 an,
sie sei zu vollziehen. Der Vollzug beider Strafen begann am 6. Mai 1974.

    Am 21. Oktober 1974 beschloss die Regierung des Kantons Graubünden,
X. auf den 24. Oktober 1974 bedingt zu entlassen und ihm eine Probezeit
von einem Jahr aufzuerlegen. Die Begründung lautet, er habe von den beiden
Gefängnisstrafen unter Berücksichtigung der Verjährung insgesamt 8 Monate
und 22 Tage zu verbüssen, so dass er unter Anrechnung einer sechstägigen
Untersuchungshaft am 24. Oktober 1974 zwei Drittel verbüsst habe.

    B.- X. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er beantragt festzustellen,
dass die Bewährungsfrist am 22. Januar 1975 erlöschen werde und "die
Eintragungen" auf diesen Tag zu löschen seien.

    Er begründet diese Begehren dahin, am 22. Januar 1975 werde der
Vollzug der beiden Strafen absolut verjähren und er habe sich in der
langen Zeit zwischen den Urteilen und dem Vollzug sowie während desselben
gut verhalten.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 75 Ziff. 1 StGB ruht die Verjährung einer
Freiheitsstrafe sowohl während des ununterbrochenen Vollzugs dieser
oder einer anderen Freiheitsstrafe als auch während der Probezeit bei
bedingter Entlassung. Art. 75 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 2 StGB, wonach die
Strafe in jedem Fall verjährt ist, wenn die ordentliche Verjährungsfrist
um die Hälfte überschritten ist, hat nur den Sinn, die Verjährung könne
nach Ablauf der absoluten Frist nicht mehr unterbrochen werden. Diese
Bestimmung will nicht sagen, nach Ablauf der absoluten Frist dürfe die
Strafe auch ungeachtet der in Art. 75 Ziff. 1 aufgezählten Gründe des
Ruhens der Verjährung nicht mehr vollzogen werden.

    Das ergibt sich daraus, dass der Satz "Jedoch ist die Strafe in
jedem Falle verjährt, wenn..." nicht als Ziffer 3 in Art. 75 steht,
sondern Bestandteil seiner Ziffer 2 ist und dort an den Satz "Mit jeder
Unterbrechung beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen" anschliesst
und mit ihm einen einzigen Absatz bildet.

    Die Entstehungsgeschichte bestätigt diese Auslegung. Art. 75 bestand
ursprünglich nur aus den beiden Absätzen über die Unterbrechung der
Verjährung, die heute die Ziffer 2 bilden. Anlässlich der Revision von
1971 wurde die Ziffer 1 über das Ruhen der Verjährung eingeführt und der
Randtitel entsprechend ergänzt. In der Botschaft vom 1. März 1965 schrieb
der Bundesrat (BBl 1965 I 584):

    "In Artikel 75, der von der Unterbrechung der Verjährung handelt,
fehlt eine Bestimmung über das Ruhen. Nach dem heutigen Wortlaut kann es
vorkommen, dass die absolute Verjährung mitten im laufenden Strafvollzug
eintritt. Auch bei der lebenslänglichen Zuchthausstrafe würde nach Ablauf
von 45 Jahren die Verjährung während des Vollzuges eintreten. Allerdings
ist dies eine lange Zeitspanne. doch stimmt die obligatorische Aufhebung
des Strafvollzuges während dessen Dauer grundsätzlich nicht mit dem Sinn
und Zweck der Lebenslänglichkeit überein."

    Daraus ergibt sich einwandfrei, dass die Verjährung während des
Strafvollzuges zum Ruhen gebracht werden sollte, damit der absoluten
Verjährung während dieser Zeit ein Riegel geschoben sei. Um bloss die
ordentliche Verjährung zu hemmen, brauchte Art. 75 nicht ergänzt zu
werden, weil schon der alte Wortlaut bestimmte, sie werde durch den
Vollzug unterbrochen, so dass schon unter der Herrschaft des alten Rechts
die ordentliche Verjährung während des Vollzuges nicht eintreten konnte.

    Soweit Art. 75 Ziff. 1 StGB das Ruhen während der Probezeit bei
bedingter Entlassung vorsieht, kann diese Norm keinen engeren Sinn haben
als für das Ruhen während des Strafvollzuges. Sie verhindert auch die
absolute Verjährung. Dass sie während der Probezeit auch die ordentliche
Verjährung hemmt, ändert nichts.

Erwägung 2

    2.- Die zweite Strafe des Beschwerdeführers wäre 7 1/2 Jahre nach
dem 10. November 1966, also am 10. Mai 1974, absolut verjährt, die erste
dagegen frühstens 7 1/2 Jahre nach dem 27. Juli 1967, also am 27. Januar
1975, allenfalls noch später, wenn nicht der Tag der Fällung, sondern
erst jener der Eröffnung des Entscheides über die Vollstreckbarkeit der
Strafe die Frist in Gang gesetzt haben sollte. Der Beschwerdeführer hat
die Strafen am 6. Mai 1974, also vor Ablauf der absoluten Verjährung,
angetreten. Während des Vollzuges ruhte die absolute Verjährung. Die beiden
Strafen hätten daher ganz vollzogen werden können, nicht nur während 8
Monaten und 22 Tagen, wie die Regierung meint. Der Beschwerdeführer ist
zu früh bedingt entlassen worden.

    Aber auch während der mit der bedingten Entlassung verbundenen
Probezeit wird der unverbüsste Rest des Strafe nicht absolut verjähren
können.

    Die Beschwerdebegehren halten daher nicht stand. Die Probezeit kann
weder aus dem vom Beschwerdeführer vorgetragenen Grunde noch mit anderer
Begründung verkürzt werden, denn nach Art. 38 Ziff. 2 StGB hat sie zwingend
mindestens ein Jahr zu dauern.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewisen.