Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IB 254



100 Ib 254

42. Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. November 1974 i.S. Badische
Anilin- & Soda-Fabrik Aktiengesellschaft gegen Eidg. Amt für geistiges
Eigentum. Regeste

    Art. 53 und 55 Abs. 1 und 2 PatG.

    Patentierung von chemischen Arbeitsverfahren, wenn die Patentansprüche
sich auf chemisch nicht spezifizierte Verfahren beziehen, die ihnen
beigeordneten Unteransprüche dagegen chemisch spezifizierte Anwendungen
dieser Verfahren enthalten.

    Schliesst das Amt diesfalls die Unteransprüche von der Patentierung
aus, so verletzt es das Gesetz nicht.

Sachverhalt

    A.- Die Badische Anilin- & Soda-Fabrik Aktiengesellschaft (BASF AG)
unterbreitete am 15. Juli 1970 dem Eidg. Amt für geistiges Eigentum ein
Patentgesuch, das sich auf ein "Verfahren zur Durchführung von exothermen
Reaktionen zwischen einem Gas und einer Flüssigkeit" bezieht. Das Amt
beanstandete das Gesuch. Die BASF AG verbesserte daraufhin die technischen
Unterlagen und formulierte die Ansprüche am 8. März 1973 neu wie folgt:

    "Patentansprüche

    I.  Verfahren zur Durchführung exothermer Reaktionen zwischen
einem Gas und einer Flüssigkeit in Gegenwart fester Katalysatoren durch
Hindurchleiten des Gases und der Flüssigkeit im Gleichstrom durch ein
katalytisch wirksame Füllkörper enthaltendes Reaktionsgefäss, wobei eine
Druckdifferenz ^ p zwischen den Enden des Reaktionsgefässes auftritt,
dadurch gekennzeichnet, dass man die Belastung des Reaktionsgefässes
durch die Flüssigkeit so wählt, dass bei konstanter Gasbelastung des
Reaktionsgefässes der Anstieg der Druckdifferenz ^ p mit steigender
Flüssigkeitsbelastung mindestens zweimal so gross ist als im Bereich
der reinen Rieselströmung der Flüssigkeit, jedoch die durch Pulsationen
hervorgerufenen Schwankungen der Druckdifferenz ^ p noch nicht auftreten.

    II.  Anwendung des Verfahrens nach Patentanspruch I bei der
Durchführung von Reaktionen, bei denen ein enger Temperaturbereich
einzuhalten ist. Unteransprüche

    1.  Anwendung nach Patentanspruch II bei der Herstellung von Alkinolen
und/oder Alkindiolen durch Umsetzung von Acetylenen mit Aldehyden in
Gegenwart von Schwermetall-Acetyliden.

    2.  Anwendung nach Patentanspruch II bei der Durchführung katalytischer
Hydrierungen."

    In einer zweiten Beanstandung vom 11. Mai 1973 lehnte das Amt die
Unteransprüche 1 und 2 als unzulässig ab. Die BASF AG hielt daran jedoch
fest und beantragte eine Zwischenverfügung, falls das Amt ihrer Auffassung
nicht zustimmen könne. Mit Verfügung vom 22. Juli 1974 erteilte das
Amt das Patent gestützt auf Art. 53 PatG, strich gleichzeitig aber die
Unteransprüche 1 und 2.

    B.- Die BASF AG führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Begehren,
diese Verfügung aufzuheben und das Amt anzuweisen, das Patent ohne
Streichung der Unteransprüche zu erteilen; eventuell habe das Amt zu
prüfen, ob jeder einzelne dieser Ansprüche für sich dem Art. 53 PatG
genüge.

    Das Amt beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Patentanspruch I der Beschwerdeführerin betrifft ein Verfahren
zur Durchführung von irgendwelchen exothermen Reaktionen zwischen
einem beliebigen Gas und einer beliebigen Flüssigkeit in Gegenwart
fester Katalysatoren, der Anspruch II die Anwendung dieses Verfahrens
auf Reaktionen, bei denen ein enger Temperaturbereich einzuhalten
ist. Beide beziehen sich somit auf sogenannte chemisch nicht spezifizierte
Arbeitsverfahren. Die Unteransprüche 1 und 2 enthalten dagegen chemisch
spezifizierte Anwendungen des chemisch nicht spezifizierten Verfahrens
gemäss Anspruch II. Darüber bestehen keine Meinungsverschiedenheiten. Die
Beschwerdeführerin und das Amt sind sich vielmehr einig, dass einzig die
Zulässigkeit der Unteransprüche streitig ist. Dazu gehört insbesondere
die Frage, ob den Patentansprüchen für chemisch nicht spezifizierte
Arbeitsverfahren ein oder mehrere Unteransprüche mit chemisch spezifierten
Anwendungen zugeordnet werden dürfen.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die Unteransprüche
1 und 2 im Sinne von Art. 55 Abs. 1 PatG "besondere Ausführungsarten"
der im Patentanspruch II definierten Verfahrensanwendung seien, was sich
auch aus Art. 52 Abs. 2 und 55 Abs. 2 PatG sowie aus Art. 12 Abs. 1 PatV
ergebe. Dem ist, was auch das Amt annimmt, an sich zuzustimmen, ohne
dass zu den Vorbringen der Beschwerde über den Inhalt und die Funktion
des Unteranspruches im einzelnen Stellung genommen werden muss; denn
darauf kommt es hier nicht entscheidend an. In dem vom Amt angerufenen
Urteil vom 29. Juni 1971 i.S. Firmenich führte das Bundesgericht aus,
dass die Freiheit des Patentbewerbers in der Formulierung der Ansprüche
und in der Wahl des Schutzumfanges nicht dazu führen dürfe, zwingende
Vorschriften des PatG zu umgehen. Hier geht es aber gerade darum,
ob dies mit Bezug auf Art. 53 PatG zutreffe, wenn die Unteransprüche
zugelassen werden. Das Amt vertritt dabei zu Recht den Standpunkt,
dass Art. 53 PatG sinngemäss auch für die "Anwendung von Verfahren"
gilt, obwohl in der Bestimmung nur von "Verfahren" die Rede ist. Davon
geht auch die Beschwerdeführerin aus, denn sie unterstellt, dass jede in
den Unteransprüchen chemisch spezifizierte Anwendung des chemisch nicht
spezifizierten Verfahrens gemäss Anspruch Il für sich dem Art. 53 PatG
genügen muss. Da das Amt hierüber nicht entschieden hat, scheidet eine
Gutheissung des Hauptbegehrens der Beschwerdeführerin zum vorneherein aus.
Fragen kann sich bloss, ob ihr Eventualbegehren begründet ist.

Erwägung 3

    3.- Das Amt nennt Art. 53 PatG ein "Unikum, für das sich in
keinem anderen Patentrecht eine Parallele" finde. Es handelt sich um
eine Sondervorschrift, die im Interesse der chemischen Industrie für
Verfahren zur Herstellung von chemischen Stoffen ins Gesetz aufgenommen
worden ist. Sie ersetzte und lockerte bei der Gesetzesrevision die in
Art. 6 Abs. 2 aPatG (BS 2 S. 895) enthaltene Einheitsbestimmung. Danach
durften Patente für Erfindungen zur Herstellung chemischer Stoffe sich
nur auf je ein Verfahren beziehen, das unter Verwendung bestimmter
Ausgangsstoffe zu einem einzigen Endstoff führt. Im Unterschied dazu
lässt der geltende Art. 53 PatG Patentansprüche auch zu, wenn sie ein
bezüglich des chemischen Vorganges bestimmtes Verfahren in Anwendung auf
Gruppen von Stoffen definieren, deren Glieder für den chemischen.Vorgang
des Verfahrens äquivalent sind. Der Bundesrat erläuterte dies in der
Botschaft zur Novelle von 1954 insbesondere damit, "dass Erfindungen
von Verfahren zur Herstellung chemischer Stoffe, bei welchen man die
Ausgangsstoffe variieren und durch die nämliche chemische Reaktion oder
Folge von chemischen Reaktionen eine Reihe von Endstoffen erhalten kann,
mit einem einzigen Patent umfassend geschützt werden können" (BBl 1950
I 1042/3; vgl. BGE 92 I 308/9; BLUM/PEDRAZZINI, Patentrecht III S. 278
ff. sowie die mit "Die chemischen Arbeitsverfahren" überschriebene
Weisung des Amtes vom 12. August 1959 zu seiner Praxisänderung). Die neue
Sondervorschrift weicht von der alten Einheitsbestimmung somit lediglich
darin ab, dass sie bezüglich des chemischen Vorganges auf äquivalente
Stoffe ausgedehnt worden ist. An der Geltung des Gesetzes für im Ergebnis
äquivalente chemische Vorgänge hat sich nichts geändert (BGE 92 I 308 ff.).

Erwägung 4

    4.- Art. 6 Abs. 2 aPatG erwies sich als besonders streng für die
Patentierung von Arbeitsverfahren, bei denen nicht ein neuer chemischer
Prozess, sondern Massnahmen nicht chemischer Art zur Durchführung von
Prozessen geschützt werden sollten, deren Chemismus als bekannt galt. Um
unerwünschte Auswirkungen zu vermeiden, vertrat das Amt die Auffassung,
dass der besonderen Einheitsvorschrift des Art. 6 Abs. 2 aPatG bloss
Verfahren zu unterstellen seien, bei denen das erfinderische Moment
im Chemismus liegt, weshalb chemische Arbeitsverfahren nur noch der
allgemeinen Einheitsbestimmung des Art. 6 Abs. 1 genügen müssten.

    Nach Inkrafttreten der Novelle im Jahre 1956 hielt das Amt diese
Trennung nicht mehr für angebracht. Es wendete daher vorerst Art. 53 PatG
auch auf Arbeitsverfahren an. Seit Überprüfung seiner Praxis im August
1959 unterscheidet das Amt jedoch zwischen "chemisch spezifizierten" und
"chemisch nicht spezifizierten" Arbeitsverfahren und sieht davon ab,
letztere dem Art. 53 PatG zu unterstellen. Als chemisch spezifiziert
gelten dabei Verfahren, bei denen besondere Ausgangsstoffe einem näher
bezeichneten Prozess unterworfen werden. Ein chemisch nicht spezifiziertes
Verfahren dagegen ist nur anzunehmen, wenn weder der Patentanspruch,
der das Verfahren definiert, noch die ihm beigeordneten Unteransprüche
Angaben über chemische Ausgangs- und Endstoffe oder chemische Operationen
enthalten.

Erwägung 5

    5.- Obwohl das Amt die nicht chemischen Arbeitsverfahren von
Art. 6 Abs. 2 aPatG ausgenommen, dieser zumindest tatsächliche Zustand
also zur Zeit der Gesetzesrevision bestanden hat, ist dem Wortlaut des
Art. 53 PatG nichts dafür zu entnehmen, dass die Betrachtungsweise des
Amtes vom Gesetz übernommen worden oder dass chemisch spezifizierte
und chemisch nicht spezifizierte Arbeitsverfahren auseinanderzuhalten
seien. Auch chemisch nicht spezifizierte Arbeitsverfahren, wie die
Beschwerdeführerin sie zur Patentierung anmeldete, sind ohne Zweifel
Verfahren zur Herstellung von chemischen Stoffen, die an sich unter Art. 53
PatG fallen. Das Amt war zunächst im Einvernehmen mit den interessierten
Kreisen denn auch selber der Meinung, die chemischen Arbeitsverfahren
seien nach der revidierten Einheitsbestimmung nicht mehr besonders zu
behandeln. Erst 1959 gelangte es vor allem aus Zweckmässigkeits- und
Billigkeitsüberlegungen zur Auffassung, es müsse seine Praxis lockern. Es
begründete die Änderung in seiner Weisung vom August 1959 insbesondere
damit, die Anwendung von Art. 53 PatG auf chemisch nicht spezifizierte
Arbeitsverfahren bedinge, dass der Patentanspruch auf einen bestimmten
chemischen Vorgang eingeschränkt werde. Die Auswahl dieses Vorganges wäre
oft völlig willkürlich, und unzählige gleichberechtigte Vorgänge müssten
mit ebenso vielen weiteren Patenten geschützt werden. Die für einen
einigermassen umfassenden Schutz zu entnehmende Zahl von Patenten wäre
so gross, dass sie selbst dem finanziell Starken kaum zugemutet werden
dürfte, während dem finanziell Schwächeren der Erwerb des Patentschutzes
praktisch versagt bliebe. Derart unvernünftige und unsoziale Auswirkungen
habe der Gesetzgeber nicht wollen können.

Erwägung 6

    6.- Diese Praxis liegt auch dem angefochtenen Entscheid zugrunde. Das
Amt hält sie mit dem Wortlaut und Sinn des Art. 53 PatG "gerade noch
vereinbar". Ob dies für die Ausnahme chemisch nicht spezifizierter
Arbeitsverfahren von der Regel des Art. 53 allgemein zutreffe, kann offen
bleiben; denn die Beschwerde richtet sich bloss gegen die durchgehende
Anwendung dieser Praxis auf Patentansprüche und die ihnen beigeordneten
Unteransprüche ein und desselben Patentes. Dies ist indes in erster Linie
nicht eine Frage der Auslegung, sondern des Ermessens, das dem Amt in der
Gesetzesanwendung zusteht. Dass es chemisch spezifizierte und chemisch
nicht spezifizierte Verfahren verschieden behandeln müsse, ist dem Gesetz
nicht zu entnehmen. Das Amt könnte dazu auch nicht verhalten werden,
wenn es die Unterscheidung mit Rücksicht auf unerwünschte Auswirkungen,
die sich bei vorbehaltloser Anwendung der Vorschrift ergeben, nicht von
sich aus eingeführt hätte. Für eine Verbindung von chemisch spezifizierten
und chemisch nicht spezifizierten Verfahren besteht jedoch so oder anders
kein Raum, wenn diese, wie hier, in den Patentansprüchen enthalten, jene
dagegen bloss in den Unteransprüchen umschrieben sind. Diesfalls würde
der Grundsatz der Einheit, der den ganzen Art. 53 PatG beherrscht (BGE 92
I 309), durchbrochen und die Vorschrift könnte jedenfalls bei Anmeldung
mehrerer Unteransprüche umgangen werden. Was die Beschwerdeführerin
unter Hinweis auf Art. 12 PatV und 24. PatG vorbringt, hilft darüber
nicht hinweg.

    Wie es sich bei bloss einem Unteranspruch verhielte, braucht nicht
erörtert zu werden, da die Beschwerdeführerin an beiden Unteransprüchen
ihres Gesuches festhält. Dass das Amt Verfahren, die nur in Unteransprüchen
chemisch spezifiziert werden, einzeln oder gesamthaft als unzulässig
bezeichnet, wäre jedenfalls nicht zu beanstanden. Sein Entgegenkommen
bei chemisch unspezifizierten Arbeitsverfahren drängt sich weder nach der
Entstehungsgeschichte, noch nach dem Wortlaut des Art. 53 PatG als Ausnahme
auf, mag eine solche sachlich auch gerechtfertigt sein. Wollte man die
Ausnahme aber noch weiter ausdehnen und auch bloss in Unteransprüchen
chemisch spezifizierte Verfahren neben nicht spezifizierten in den
Patentansprüchen zulassen, so widerspräche dies ihrem Sinn und Zweck.
Logischerweise dürften dann freilich Patentansprüche auch keine chemisch
spezifizierte Anwendung neben einem chemisch unspezifizierten Verfahren
enthalten, unbekümmert darum, dass nach Art. 52 Abs. 2 PatG jeweils nur
eine einzige Anwendung des Verfahrens beansprucht werden darf, während bei
analogen Unteransprüchen die Zahl nach Ansicht des Amtes nicht beschränkt
wäre. Hierauf kommt im vorliegenden Fall jedoch nichts an, weil die
Patentansprüche der Beschwerdeführerin keine chemisch spezifizierte
Anwendung des Verfahrens enthalten.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.