Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IB 208



100 Ib 208

33. Auszug aus dem Urteil vom 5. Juli 1974 i.S. Nigg und Mitbeteiligte
gegen Regierungsrat des Kantons Schwyz Regeste

    Gewässerschutz; Art. 18 und 19 GSchG.

    Bauten sind innerhalb des Kanalisationsperimeters nur zu bewilligen,
soweit das Bauvorhaben den Berechnungsgrundlagen der Kanalisation
entspricht und die erforderliche Leitung besteht oder in absehbare Zeit
gebaut wird.

Sachverhalt

    Die Beschwerdeführer sind Eigentümer der Parzelle Nr. 509 an der
Bahnhofstrasse in Schwyz. Sie beabsichtigen auf diesem Grundstück, das eine
für die bauliche Ausnützung anrechenbare Fläche von 2185 m2 aufweist,
ein Mehrfamilienhaus mit 21 Wohnungen zu erstellen. Der Gemeinderat
Schwyz lehnte durch Beschluss vom 21. September 1972 das eingereichte
Baugesuch ab. Zur Begründung führte er aus, gemäss Art. 19 GSchG dürften
Bewilligungen für den Neu- und Umbau von Bauten und Anlagen aller Art
innerhalb der Bauzonen oder, wo solche fehlen, innerhalb des im Generellen
Kanalisationsprojekt (GKP) abgegrenzten Gebietes nur erteilt werden,
wenn der Anschluss der Abwässer an die Kanalisation gewährleistet sei. Da
in der Gemeinde Schwyz kein Zonenplan bestehe, sei für die Behandlung des
Baugesuchs das GKP massgebend. Das Kanalisationsprojekt sei aber für das in
Betracht fallende Gemeindegebiet nicht auf Mehrfamilienhäuser ausgerichtet,
es erlaube eine Ausnützungsziffer von 0,22; die im Bauprojekt vorgesehene
Ausnützung betrage jedoch 0'902. Eine intensivere Ausnützung, als sie
dem GKP entspreche, stelle jedoch den gleichen Sachverhalt dar wie das
Bauen ausserhalb des GKP und dürfe daher nicht bewilligt werden. Grund
zu einer Ausnahme bestehe im vorliegenden Fall nicht. Eine gegen diesen
Entscheid des Gemeinderates eingereichte Beschwerde wies der Regierungsrat
des Kantons Schwyz am 30. Juli 1973 ab, indem er im wesentlichen die
Argumentation des Gemeinderates bestätigte. Gegen diesen Entscheid richtet
sich die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesgericht
hat die Beschwerde abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) In Art. 18 GSchG wird die Regel aufgestellt, dass im
Bereiche der öffentlichen und den öffentlichen Zwecken dienenden privaten
Kanalisationen alle Abwässer an diese anzuschliessen seien. Die in dieser
Bestimmung erwähnten Ausnahmen (für zentrale Reinigung ungeeignete Abwässer
u.ä.) sind im vorliegenden Fall ohne Bedeutung. In Abs. 2 von Art. 18
GSchG wird als Korrelat zur Anschlusspflicht die generelle Pflicht der
Inhaber solcher Anlagen zur Abnahme der Abwässer statuiert. Eine isolierte
Interpretation des Wortlautes von Art. 18 GSchG könnte zum Schluss führen,
im Perimeter einer Kanalisation dürfe der Anschluss irgendwelcher neuer
Bauten und Anlagen und die Abnahme normal reinigungsfähiger Abwässer
keinesfalls verweigert werden. Aus Art. 19 GSchG ergibt sich allerdings
klar, dass Neubauten auch im Gebiete des GKP nicht ohne weiteres zu
bewilligen sind, sondern dass solche Bewilligungen nur erteilt werden
dürfen, wenn der Anschluss an die Kanalisation effektiv gewährleistet
ist. Der Inhalt von Art. 19 zeigt deutlich die Tragweite und die Grenzen
von Art. 18: Diese Bestimmung umschreibt zwar die Anschlusspflicht der
Grundeigentümer einerseits und die Abnahmepflicht anderseits und regelt
die Ausnahmen bei bestehenden Bauten und Anlagen. Die besondern Probleme,
die sich bei der Errichtung neuer Bauten und Anlagen stellen, werden jedoch
erst in Art. 19 geordnet. Es kann aus dem Fehlen eines entsprechenden
Vorbehaltes in Art. 18 nicht der planerisch völlig unvernünftige Schluss
gezogen werden, der Inhaber einer Kanalisation sei verpflichtet, jeden noch
so grossen und abwasserintensiven Neubau im Bereich seines Leitungsnetzes
anzuschliessen, bei Fehlen eines Zonenplanes könne ein Bauvorhaben mit
hoher Ausnützung nicht auf Grund der Kapazität der vorhandenen und
projektierten Kanalisationsanlagen verhindert werden. Art. 19 GSchG
bringt klar zum Ausdruck, dass eine solche Baufreiheit innerhalb des GKP
aus Gründen des Gewässerschutzes nicht besteht. Auch im Perimeter der
Kanalisation ist die Bewilligung neuer Bauten nur zulässig, sofern ein
Anschluss an die Kanalisation tatsächlich möglich ist. Die Bautätigkeit
soll dem effektiv vorhandenen Leitungsnetz entsprechen; für kleinere
Objekte (bis zu 12 Einwohnergleichwerten) kann nach Art. 26 AGSchV eine
Ausnahme gestattet werden, sofern der Anschluss an die Kanalisation
innerhalb von drei Jahren sichergestellt ist. Die Lage eines Bauplatzes
innerhalb des GKP verschafft also nicht einen unbedingten Anspruch auf
Erteilung der Baubewilligung; der Anschluss an die Kanalisation muss in
der Regel sofort oder ausnahmsweise innerhalb von drei Jahren möglich sein.

    b) Bei der Schaffung dieser Vorschriften dachte der Gesetzgeber
offensichtlich an die im Einzugsgebiet des GKP vorgesehenen, aber noch
nicht gebauten Kanalisationen. Der hier zu beurteilende Fall, dass ein
Bauprojekt sich im Bereich einer vorhandenen Leitung befindet, aber die
dem GKP und der vorhandenen Kanalisation zugrunde liegende Intensität
der baulichen Ausnützung übersteigt, wird im Gesetz nicht ausdrücklich
geregelt. Doch ähnliche Überlegungen, wie sie der Bewilligung von
Neubauten in einem eingezonten, aber kanalisationstechnisch noch
nicht erschlossenen Gebiet entgegenstehen, führen folgerichtig zu
der von Gemeinderat und Regierungsrat vertretenen Auffassung, dass
Kanalisationsanschlüsse von Neubauten an bestehende Leitungen nur im Rahmen
der Leistungsfähigkeit der vorhandenen Anlagen zu gestatten sind und dass
daher zur Wahrung der Rechtsgleichheit nur eine den Berechnungsgrundlagen
des GKP entsprechende bauliche Ausnützung bewilligt werden kann.

    Mangels eines rechtsgültigen Zonenplanes - der übrigens mit den
Berechnungsgrundlagen des GKP übereinstimmen müsste - kommt dem Generellen
Kanalisationsprojekt nicht nur die im Gesetz (Art. 20 GSchG) umschriebene
Funktion der Begrenzung des Baugebietes zu, sondern auch für die zulässige
bauliche Ausnützung sind die Berechnungsgrundlagen der Kanalisation
massgebend. Es widerspräche der Grundkonzeption der gesetzlichen Ordnung
und würde ernstliche Gefahren der Gewässerverschmutzung mit sich bringen,
wenn Anschlüsse von Bauten erlaubt werden müssten, deren Abwasseranfall
die Leistungsfähigkeit der Kanalisation übersteigt und mit dem GKP nicht
im Einklang steht. Das GKP legt Ausdehnung und technische Ausgestaltung
des Kanalisationssystems und der Abwasserreinigungsanlagen verbindlich
fest (Art. 17 Abs. 1 GSchG); dabei soll der zu erwartenden baulichen
Entwicklung in angemessener Weise Rechnung getragen werden. Das einmal
beschlossene GKP ist jedoch einzuhalten und vor allem muss die weitere
bauliche Ausnützung im Bereich bereits erstellter Leitungen sich der
Dimension der Leitung anpassen. Ein Bauinteressent kann nicht eine von
der kanalisationstechnischen Planung abweichende, wesentlich grössere
Abwässerabnahme beanspruchen, die zur Folge hätte, dass andere Grundstücke
in gleicher Lage an die bestehende, auch für sie bestimmte Leitung nicht
mehr angeschlossen werden dürften oder dass für die weitere Überbauung des
Einzugsgebietes der Kanalisation eine Änderung des bereits realisierten
GKP, d.h. eine Vergrösserung der planmässig erstellten Anlagen notwendig
wäre.

    c) Die Auslegung der Art. 18 und 19 GSchG nach der ratio legis führt
somit zum Ergebnis, dass der Anschluss und damit auch die Errichtung von
Bauten innerhalb des Kanalisationsperimeters nur zu bewilligen sind, soweit
das Bauvorhaben den Berechnungsgrundlagen der Kanalisation entspricht
und die erforderliche Leitung besteht oder in absehbarer Zeit gebaut
wird. Die Möglichkeit, auf der Grundlage eines GKP gewisse planerische
Massnahmen durchzusetzen, sollte allerdings nicht dazu führen, dass eine
Gemeinde die Schaffung eines rechtsgültigen Zonenplans einfach unterlässt.

Erwägung 3

    3.- a) Im angefochtenen Entscheid der Regierungsrates wird dargelegt,
dass für die Zone IV des GKP, in welcher sich das fragliche Grundstück
befindet, eine Bewohnerdichte von 50 Einwohnern pro ha vorgesehen sei,
was einer Ausnützungsziffer von 0,15 entspreche. Der Gemeinderat gehe
davon aus, dass nicht überall die höchste zulässige Bevölkerungsdichte
erreicht werde und berechne daher die maximale Ausnützung auf Grund von
75 Einwohnern pro ha, was die Ausnützungsziffer von 0'225 ergebe. Gegen
diese Berechnung wird in der Beschwerde nichts vorgebracht und es ist
auch unbestritten, dass das Bauprojekt der Beschwerdeführer zu einer
Ausnützung führen würde, die ungefähr das Vierfache der vom Gemeinderat
bei einer Bevölkerungsdichte von 75 Einwohnern pro ha berechneten maximalen
Ausnützungsziffer betrüge.

    Ob der Anschluss des projektierten Mehrfamilienhauses beim jetzigen
Stand der Überbauung vorläufig noch ohne besonderes Risiko.möglich wäre,
ist hier nicht zu prüfen. Auf jeden Fall würde eine der Argumentation
der Beschwerdeführer entsprechende Bewilligunspraxis früher oder später
zu einer Überlastung der auf eine viel geringere bauliche Ausnützung
zugeschnittenen Kanalisationsleitung führen. Dies liesse sich nur
durch eine rechtsungleiche Beschränkung der Überbauung auf den andern
Parzellen dieser Zone verhindern. Die Beschwerdeführer können nicht
Anspruch darauf erheben, dass ihnen eine die Berechnungsgrundlagen
des GKP weit überschreitende Ausnützung eingeräumt wird und dass die
Gemeinde das Risiko auf sich nimmt, entweder später die Kanalisation
wegen dieser planwidrigen Bewilligungspraxis vergrössern oder den
Eigentümern benachbarter Grundstücke unter Verletzung von Art. 4 BV starke
Beschränkungen der baulichen Nutzung auferlegen zu müssen (vgl. BGE 92 I
512). Dadurch, dass Gemeinderat und Regierungsrat die dem GKP zugrunde
liegende Ausnützungsziffer zur Richtlinie für die Bewilligung neuer
Bauten erklärten, haben sie nicht gegen Bundesrecht verstossen, sondern
die gesetzlichen Vorschriften sinngemäss zur Anwendung gebracht.

    b) Auf Grund der Erfahrungen und auf Grund von Berechnungen des
Bauverwalters geht der Gemeinderat Schwyz bei der Bestimmung der höchsten
zulässigen Ausnützung nicht von der bei gleichmässiger Besiedlung der Zone
angenommenen durchschnittlichen Bevölkerungsdichte aus, sondern macht zu
Gunsten der interessierten Grundeigentümer einen Zuschlag von 50%. Diese
gleichmässige Abweichung von den theoretischen Berechnungsgrundlagen
des GKP ist sachlich begründet und kann daher keineswegs als willkürlich
bezeichnet werden. Die in der Beschwerdeschrift geäusserte Befürchtung,
der Gemeinderat könnte von Fall zu Fall willkürlich unterschiedliche
"Zuschläge" anwenden, beruht offenbar nicht auf konkreten Feststellungen
einer derartigen, sachlich nicht vertretbaren Differenzierung. Wie sich
aus den Ver nehmlassungen ergibt, wird durchwegs die gleiche rechnerische
"Korrektur" vorgenommen. Die Rüge einer Verletzung von Art. 4 BV ist
daher unbegründet.