Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IB 126



100 Ib 126

23. Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Juni 1974 i.S. SA Cotexma
N.V. gegen Eidg. Amt für geistiges Eigentum. Regeste

    Art. 57 und 59 Abs. 5 PatG, Art. 30 PatV I und II. Ein Patentgesuch
wird auch durch dessen Rückzug im Sinne von Art. 57 PatG erledigt. Das
Patenterteilungsverfahren wird dadurch beendet.

Sachverhalt

    A.- Die belgische Firma SA Cotexma N.V. liess am 10.  März 1970 beim
eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum das Patentgesuch Nr. 3555/70 für
ein Florgewebe und ein Verfahren zu dessen Herstellung einreichen und dafür
die Priorität der britischen Anmeldung vom 10. März 1969 beanspruchen. Das
Gesuch wurde Ende November 1973 zurückgezogen. Mit Begleitschreiben vom 6.
Dezember 1973 gab das Amt daraufhin die Akten gemäss Art. 30 PatV II
zurück und schrieb der Gesuchstellerin die Anmeldegebühr zur Hälfte gut.

    Am 7. Januar 1974 liess die Cotexma dem Amt ein neues Patentgesuch
Nr. 1288/74 für ein Verfahren zur Herstellung eines Florgewebes
unterbreiten. Es wurde als Teilgesuch bezeichnet, das aus der Teilung des
Gesuches Nr. 3555/70 hervorgegangen und gemäss Art. 57 PatG auf dessen
Anmeldedatum zurückzubeziehen sei.

    Das Amt lehnte dies durch Verfügung vom 29. Januar 1974 ab, wobei es
offen liess, ob der Sache nach ein Teilgesuch vorliege.

    B.- Die Cotexma führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren,
es sei festzustellen, dass das Patentgesuch Nr. 1288/74 als Teil des
Gesuches Nr. 3555/70 entgegenzunehmen ist; eventuell habe das Amt die
materiellen Voraussetzungen des Art. 57 PatG zu prüfen und, falls diese
erfüllt sind, das Gesuch Nr. 1288/74 entgegenzunehmen.

    Das Amt beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 57 PatG erhält ein Patentgesuch, das aus der Teilung
eines mehrere Erfindungen umfassenden Gesuches hervorgeht, das Anmeldedatum
des ursprünglichen Gesuches, wenn es bei seiner Einreichung ausdrücklich
als Teilgesuch bezeichnet wurde und das ursprüngliche zur Zeit der
Einreichung des abgetrennt3n "noch nicht erledigt ist".

    Was unter dem Wort "erledigt" zu verstehen ist, wird weder im
Gesetz noch in den Vollziehungsverordnungen gesagt und ist auch der
Botschaft des Bundesrates zum Gesetzesentwurf nicht zu entnehmen. Im
allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet das Wort dasselbe wie beendet oder
abgeschlossen. Im gleichen Sinne wird es im Zivilprozessrecht verwendet,
um zu sagen, womit ein Verfahren beendet werden kann oder wann ein
Prozess als erledigt zu gelten hat. Der Begriff "Erledigung" wird in
den Prozessordnungen freilich unterschiedlich gehandhabt. Die Berner ZPO
beschränkt ihn in Art. 203 Abs. 1 auf Fälle, in denen der Rechtsstreit
gegenstandslos wird oder mangels rechtlichen Interesses dahinfällt. Der
BZP spricht nicht bloss in diesen Fällen, sondern auch beim gerichtlichen
Vergleich und beim Abstand einer Partei von "Erledigung des Rechtsstreites
ohne Urteil" (Art. 72 und 73). Nach § 238 der Zürcher ZPO sodann gilt auch
das Urteil als Erledigung des Rechtsstreites. So wie anders sind damit
jedoch stets bestimmte Arten von Beendigung des Prozesses gemeint. Eine
andere Bedeutung können die Ausdrücke "Erledigung" oder "erledigt" auch
im Verwaltungsverfahren, insbesondere im Patenterteilungsverfahren,
nicht haben.

Erwägung 2

    2.- Dass ein Patentgesuch nicht nur durch Verleihung oder Verweigerung
des Patentes, sondern auch durch Rückzug erledigt werden kann, erhellt vor
allem aus Art. 59 Abs. 5 und Art. 30 PatV I und II. Diese Bestimmungen
regeln die Rückgabe von Gebühren und Akten, falls ein Patentgesuch
"zurückgewiesen oder zurückgezogen" wird. Die Zurückweisung wird vom
Amt verfügt. Zieht der Bewerber dagegen sein Gesuch zurück, so bedarf es
keiner Verfügung des Amtes mehr, damit der Rückzug wirksam werde.

    In einer "Auskunft" vom 14. September 1970 (veröffentlicht im
Schweizerischen Patent-, Muster- und Marken-Blatt 1970 I S. 43)
erklärte das Amt freilich, dass es nach Rückzug des Stammgesuches
ein Teilgesuch entgegennehme, wenn es den Rückzug administrativ noch
nicht vollzogen habe. Es will sich dabei aber nicht behaften lassen,
sondern ist der Ansicht, dass gemäss Art. 56 Abs. 2 PatG nicht nur für das
Patentgesuch, sondern auch für die Rückzugserklärung auf deren Übergabe an
die schweizerische Post abgestellt werden müsse. Die Beschwerdeführerin
vertritt dagegen die Auffassung, dass das Amt die Rücktrittserklärung
durch eine anfechtungsfähige Verfügung zu vollziehen habe, weshalb das
Stammgesuch erst mit dem Ablauf der Beschwerdefrist als endgültig erledigt
gelten könne.

    Unter Rückzug oder Abstand ist im Zivilprozessrecht die Erklärung
des Klägers zu verstehen, sein Begehren fallenzulassen (GULDENER,
Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. S. 294/5; KUMMER, Grundriss
des. Zivilprozessrechts, S. 130; LEUCH, ZPO für den Kanton Bern, N. 6
zu Art. 397). Ob eine solche Erklärung den Prozess unmittelbar beendet
oder ob erst der gestützt darauf erlassene Entscheid des Richters
diese Wirkung hat, hängt wiederum von den einzelnen Prozessordnungen
ab. Ersteres ist z.B. nach Art. 73 BZP und Art. 397 Abs. 2 der Berner
ZPO (KUMMER und LEUCH, je aaO), letzteres dagegen gemäss § 104 Abs. 2
und § 238 der Zürcher ZPO der Fall (STRÄULI/HAUSER, ZPO Zürich, 2.
Aufl. Anm. 1/III zu § 238). Art. 73 BZP ist, soweit der Beschwerdeführer
über den Streitgegenstand verfügen kann, nach Art. 40 und 135 OG auch im
verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren anwendbar. Rechtsprechung
und Lehre anerkennen, dass die Beschwerde selbst dann, wenn dem
Beschwerdeführer eine "reformatio in pejus" droht, gültig zurückgezogen
werden kann (BGE 70 I 311/12, 97 V 252/3; GRISEL, Droit administratif
suisse, S. 509 Ziff. 6 lit. b; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und
Verwaltungsverfahren im Bund, S. 48/9). Nach einer im Verfahrensrecht
allgemein geltenden Regel beurteilt die Wirksamkeit von Prozesshandlungen
sich zudem nach dem Zeitpunkt ihrer Vornahme; bei schriftlichen Eingaben
insbesondere kommt es, wie aus den Vorschriften über die Fristenberechnung
erhellt, nicht darauf an, wann sie bei der zuständigen Behörde eintreffen,
sondern wann sie der Post übergeben werden (vgl. Art. 32 OG; GULDENER,
aaO S. 213 ff.; JEANPRETRE, L'expédition et la réception des actes de
procédure et des actes juridiques, in SJZ 69 S. 349).

    Weshalb im Patenterteilungsverfahren von diesen Grundsätzen abgewichen
werden sollte, versucht die Beschwerdeführerin nicht darzutun und ist auch
nicht zu ersehen. Ist aber von ihnen auszugehen, so hat das Patentgesuch
Nr. 3555/70 seit dem 29. November 1973, als die Beschwerdeführerin es
zurückgezogen hat, als erledigt zu gelten.

    Das Verwaltungsverfahren dient der Vorbereitung und dem abschliessenden
Erlass einer Verfügung, durch welche (die gegenseitigen Rechte oder
Pflichten in einer Verwaltungssache) für die Verwaltung wie für die übrigen
beteiligten Parteien in endgültiger, verbindlicher und erzwingbarer Weise
geregelt werden (vgl. Art. 1, 5, 6 und 44 VwG; GYGI, aaO S. 11 und 20/21;
GRISEL, aaO S. 191/2 und 466/7). Durch den Rückzug des Gesuches, welches
das Patenterteilungsverfahren auslöst, verzichtet der Gesuchsteller darauf,
dass die Verwaltungsbehörde über sein Begehren entscheidet. Das Verfahren
wird dadurch beendet; die Verwaltung hat alsdann keinen Anlass mehr, eine
Verfügung zu erlassen, noch bleibt dafür Raum. Im vorliegenden Fall liegt
denn auch auf der Hand, dass das Schreiben des Amtes vom 6. Dezember 1973
keine Verfügung im angeführten Sinne enthält.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführerin ist freilich zuzugeben, dass der Rückzug
eines Patentgesuches auch administrativ zu vollziehen ist. Weder das
Gesetz noch die Verordnungen verlangen aber, dass das Amt die Beendigung
des Verfahrens, wie das z.B. in einem gerichtlichen Abschreibungsbeschluss
geschieht, förmlich festzustellen habe. Einer solchen Feststellung käme
übrigens selbst dann, wenn sie vorgeschrieben wäre, bloss deklaratorische
Bedeutung zu (vgl. BGE 74 I 283). Über die in Art. 30 PatV I und
II vorgesehenen Folgen des Rückzuges hat das Amt ohnehin nicht zu
entscheiden; es hat dem Bewerber nur die darin nicht ausgenommenen Akten
und Gebühren zurückzugeben. Sein Schreiben vom 6. Dezember 1973 erschöpft
sich denn auch in der Mitteilung, dass der Beschwerdeführerin infolge
Rückzugs des Patentgesuches "die unten verzeichneten Akten und Gebühren"
zurückerstattet würden (vgl. GYGI, aaO S. 98 ff; GRISEL, aaO S. 467
unten). Diese Mitteilung und die darin erwähnten Vorkehren können als
Verwaltungshandlungen im weitesten Sinne angesehen (GRISEL, aaO S. 191),
nicht aber als "autoritative Anordnung einer Verwaltungsbehörde" (GYGI,
aaO S.11) oder als Vollstreckungsverfügung gemäss Art. 5 Abs. 2 VwG
bezeichnet werden.

    Ebensowenig hilft der Beschwerdeführerin der Einwand, solange ein
Patentgesuch im Register nicht gelöscht sei, müsse es nach Art. 9 ZGB
als anhängig im Sinne von Art. 55 Abs. 3 PatV I bzw. Art. 84 Abs. 3
PatV II gelten. Gemäss Art. 9 ZGB erbringen öffentliche Register für
die durch sie bezeugten Tatsachen vollen Beweis, bis die Unrichtigkeit
ihres Inhaltes nachgewiesen ist. Gemeint sind damit vor allem die vom
Bundesrecht vorgesehenen öffentlichen Register (KUMMER, N. 22 zu Art. 9
ZGB). Das Patentgesuchsregister ist jedoch nicht öffentlich (Art. 55
Abs. 3 PatV I und Art. 84 Abs. 3 PatV II), folglich nicht beweiskräftig im
Sinne von Art. 9 ZGB. Daran ändert nichts, dass das Amt es insbesondere
für Aufkünfte verwenden darf. Die Eintragungen in diesem Register haben
keine konstitutive Wirkung. Im Rückzug des Gesuches läge zudem der in
Art. 9 ZGB vorbehaltene Gegenbeweis.

Erwägung 4

    4.- Unbehelflich ist ferner, dass die in Art. 57 PatG enthaltene
Wendung "noch nicht erledigt" in den romanischen Fassungen nicht wörtlich
übersetzt vorkommt. Die drei Gesetzestexte haben trotzdem die gleiche
Bedeutung, wenn der französische und italienische auch eher als der
deutsche darauf schliessen lassen, dass man bei der Ausarbeitung des
Gesetzes nur an die Beendigung des Verfahrens durch Erteilung oder
Verweigerung des Patentes, nicht aber an die Möglichkeit des Rückzugs
des Gesuches gedacht hat. Diese Möglichkeit besteht indes, und wenn der
Bewerber davon Gebrauch macht, wird das Verfahren dadurch beendet. Wollte
man dagegen einzig eine Verwaltungsverfügung als Erledigung im Sinne von
Art. 57 PatG gelten lassen, so könnte nach dem Rückzug des ursprünglichen
Patentgesuches ein Teilgesuch mit Prioritätsanspruch entweder überhaupt
nicht oder dann unbeschränkt eingereicht werden. Dass dies der Sinn des
Art. 57 sei, behauptet auch die Beschwerdeführerin nicht.

    Endet das Patenterteilungsverfahren aber schon mit dem Rückzug des
Gesuches und entfällt deswegen eine abschliessende Verfügung des Amtes,
so stellt sich die Frage nicht, ob die Erledigung erst mit Ablauf der
Beschwerdefrist eintrete.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.