Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IA 41



100 Ia 41

8. Urteil vom 13. März 1974 i.S. Küng und Stierli gegen Regierungsrat
des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 4 BV; Verordnung über die Schiffahrt auf dem Sempachersee.

    1.  Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde (E. 1a).

    2.  Legitimation zur Anfechtung allgemeinverbindlicher Erlasse (E. 1b).

    3.  Das Verbot, Kajütboote mit über 5,5 m Länge oder Wasserfahrzeuge
mit Wohn- und Schlafeinrichtungen auf dem Sempachersee in Verkehr zu
bringen oder zu stationieren, verstösst nicht gegen Art. 4 BV (E. 2 und 3).

Sachverhalt

                      Aus dem Sachverhalt:

    A.- Am 26. März 1973 erliess der Regierungsrat des Kantons Luzern
gestützt auf § 2 des kantonalen Gesetzes über die Wasserrechte vom
2. März 1875 und § 99 des EG zum ZGB sowie Art. 9 der Allgemeinen
Gewässerschutzverordnung des Bundesrates vom 19. Juni 1972 eine neue
"Verordnung über die Schiffahrt auf dem Sempachersee" (VO), welche seit dem
1. April 1973 in Kraft ist. Diese Verordnung lässt auf dem Sempachersee
nur Boote zu, die für diesen See eine Betriebsbewilligung haben (§ 3). § 10
VO enthält eine Reihe von Vorschriften, die dem Gewässerschutz dienen. So
werden an Boote mit Verbrennungsmotoren gewisse technische Anforderungen
im Hinblick auf Öl und Benzin gestellt (Abs. 1 und 2). Aborte auf den
Booten dürfen weder einen Abfluss noch eine Auspumpvorrichtung aufweisen;
sie sind an einen fest eingebauten Fäkalienbehälter anzuschliessen, der
nur vom Land aus entleert werden kann (Abs. 3). § 14 begrenzt die Anzahl
der Motorboote, inbegriffen die motorisierten Segelboote, auf 400.

    § 16 VO schliesslich bestimmt unter dem Marginale "Wasserfahrzeuge
mit Wohn- und Schlafeinrichtungen, Kajütboote" folgendes:

    "Es ist verboten, Kajütboote mit über 5,5 m Länge oder Wasserfahrzeuge
mit Wohn- und Schlafeinrichtungen auf dem Sempachersee in Verkehr zu
bringen oder zu stationieren.

    Die Betriebsbewilligungen derartiger Boote werden nicht mehr
erneuert. Sie dürfen längstens bis zum Ablauf der gegenwärtigen
Betriebsbewilligung auf dem See verkehren und sind nachher von ihren
Standplätzen zu entfernen."

    B.- Josef Küng und Josef Stierli, welche beide auf dem Sempachersee
ein Boot besitzen, führen innert 30 Tagen seit der amtlichen Publikation
der Verordnung staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
BV. Sie stellen den Antrag, § 16 VO sei aufzuheben, soweit er das
Inverkehrbringen oder Stationieren von Kajütbooten mit über 5,5 m Länge
verbiete. Zur Begründung wird geltend gemacht, dieses Verbot sei sinn-
und zwecklos und daher willkürlich.

    C.- Das Militär- und Polizeidepartement des Kantons Luzern beantragt
im Namen des Regierungsrates Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Gemäss Art. 84 Abs. 1 OG können sowohl kantonale Verfügungen
(Entscheide) als auch allgemeinverbindliche kantonale Erlasse mit
staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden, wobei aber dieses
Rechtsmittel entsprechend seinem subsidiären Charakter nur zulässig ist,
wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder
Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer andern Bundesbehörde gerugt
werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG). Die vorliegende Beschwerde richtet sich
unmittelbar gegen einen kantonalen Erlass. Als anderweitiges Rechtsmittel
im Sinne von Art. 84 Abs. 2 OG käme nur die Beschwerde an den Bundesrat
in Betracht (Art. 73 VwG). Es wird indessen kein Beschwerdegrund nach
Art. 73 Abs. 1 VwG geltend gemacht (z.B. eine Verletzung eidgenössischen
Verwaltungsrechtes), der die Zuständigkeit des Bundesrates begründen
würde. Es wird einzig behauptet, die angefochtene Bestimmung der kantonalen
Verordnung verstosse gegen den in Art. 4 BV verankerten Grundsatz der
Rechtsgleichheit, und zur Geltendmachung dieser Verfassungsrüge steht
lediglich das Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde zur Verfügung
(BGE 98 Ia 284 E. 3). Diese ist im vorliegenden Fall daher zulässig.

    b) Wieweit die beiden Beschwerdeführer durch die angefochtene
Vorschrift der Verordnung schon heute betroffen sind, kann dahingestellt
bleiben. Zur Anfechtung eines allgemeinverbindlichen Erlasses ist jeder
legitimiert, auf den die als verfassungswidrig bezeichnete Vorschrift
künftig einmal angewendet werden könnte; es genügt ein virtuelles
Betroffensein (BGE 99 Ia 396 E. 1a mit Hinweisen), und diese Voraussetzung
trifft hier klarerweise zu. Auf die staatsrechliche Beschwerde ist daher
einzutreten.

Erwägung 2

    2.- a) Die Beschwerdeführer unterstützen den Regierungsrat in seinen
Bestrebungen zum Schutze des Sempachersees gegen das Aufkommen von Wohn-
und Schlafbooten und gegen Verschmutzung "voll und ganz". Sie behaupten
aber, die angefochtene Norm sei im Blick auf den von ihr angestrebten
Zweck unvernünftig, ja unsinnig und schaffe Rechtsungleichheit, verletze
also Art. 4 BV. Der Regierungsrat stellt dies in Abrede.

    Art. 4 BV ist auch auf dem Gebiete der Gesetzgebung von Bedeutung. Ein
gesetzgeberischer Erlass, der sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe
stützt oder rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger
Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht ersichtlich ist, verletzt
den in Art. 4 BV enthaltenen Grundsatz der Rechtsgleichheit (BGE 97 I 801,
782 E. 2 c, mit Hinweisen; 99 Ia 158).

    § 16 Abs. 1 VO verbietet zwei Kategorien von Booten. Allgemein
untersagt sind zunächst "Wasserfahrzeuge mit Wohn- und
Schlafeinrichtungen". Dieses Verbot ist hier nicht angefochten. Art. 16
Abs. 1 VO verbietet darüber hinaus aber auch "Kajütboote mit über 5,5 m
Länge". Nur gegen dieses weitere Verbot richtet sich die staatsrechtliche
Beschwerde. Die Beschwerdeführer machen geltend, es habe mit dem Schutz
des Sempachersees nichts zu tun und sei rein willkürlich.

    b) Der Regierungsrat hält angesichts der Tendenz in der Bevölkerung
zu immer mehr und immer grösseren Booten auf dem verhältnismässig kleinen
Sempachersee nicht nur eine zahlenmässige Limitierung der Boote für nötig,
sondern auch eine Grössenbeschränkung für Kajütboote, beides im Interesse
der Lärmbekämpfung, des Natur- und Heimatschutzes, der Erhaltung des
Sees als Erholungsgebiet und der Fischerei. Die Zahl der Motorboote,
einschliesslich der motorisierten Segelboote, wird auf 400 limitiert
(§ 14). Für die nichtmotorisierten Boote ist an sich eine zahlenmässige
Beschränkung nicht vorgesehen; die Verordnung strebt aber auch hier
eine Limitierung an, indem sie u.a. für Kajütboote eine Maximallänge
festlegt. Dieses Mittel ist nicht sinnlos oder unvernünftig. Mancher,
der ein grösseres Boot in Betrieb setzen würde, verzichtet auf dem
Sempachersee auf ein Boot überhaupt, wenn die höchstzulässige Grösse ihm
zu gering erscheint. Es entbehrt auch nicht des sachlichen Grundes, von
einem kleinen See die grösseren Boote fernzuhalten, die Selektion also
zugunsten der kleineren Boote vorzunehmen.

    c) Die Verordnung, insbesondere auch die angefochtene Bestimmung,
will sodann der Reinhaltung bzw. Sanierung des Seewassers dienen. Es ist
keine Frage und wird von den Beschwerdeführern anerkannt, dass es sich
bei diesem auch von der Bundesgesetzgebung geschützten Rechtsgut um ein
solches von primärer Bedeutung handelt. Das Wasser des Sempachersees
im speziellen, das einigen Gemeinden als Trinkwasserreservoir dient,
ist - wie auch die Beschwerdeführer gelten lassen - gefährdet. Es lässt
sich nun nicht leugnen, dass ein Verbot grösserer Boote auch dem Schutz
des Seewassers dient. Grössere Boote erlauben und erleichtern längeres
Verweilen, Wohnen und Schlafen. Der Regierungsrat legt drastisch dar, dass
nicht nur die Motorboote das Seewasser mit Öl, Benzin, Russ etc. gefährden,
sondern dass auch zum Wohnen geeignete Boote das Wasser verschmutzen mit
all jenen Abgängen, die durch längeres menschliches Verweilen entstehen. Es
war daher keineswegs sinnlos, Boote mit Wohn- und Schlafeinrichtungen zu
verbieten; die Beschwerdeführer anerkennen dies.

    d) Die Beschwerdeführer sehen jedoch keinen Sinn darin, zusätzlich noch
die Länge der Kajütboote auf 5,5 m zu limitieren. Richtig ist zunächst,
dass das Mass von 5,5 m nicht die Grenze zwischen verschiedenen Kategorien
von Booten darstellt. Solche Grenzen gibt es aber gar nicht, wie das
Studium des von den Beschwerdeführern eingereichten Kataloges "Klasings
Bootsmarkt international" klar macht. Es gibt dort Segel-Kajütboote
von 4,4 m praktisch stufenlos bis zu Kreuzern und Jachten von 10,6 m
Länge. Der Regierungsrat begründet die Limite von 5,5 m namentlich damit,
dass nach den Erfahrungen der Fachleute Kabinenboote bis zu dieser Länge
für Wohn- und Schlafzwecke ungeeignet seien; das aber sei aus Gründen des
Gewässerschutzes notwendig. Die Beschwerdeführer halten dem entgegen, die
Bewohnbarkeit eines Bootes und damit seine Verschmutzungsgefährlichkeit
hänge nicht von seiner Länge, sondern von seinem Fassungsvermögen ab,
d.h. von der Zahl der Personen, die sich auf dem Boot aufhalten könnten,
und von der möglichen Dauer des Aufenthaltes. Das zeigt, dass die Meinungen
nicht allzuweit auseinanderliegen. Auch der Regierungsrat sieht die von den
Beschwerdeführern genannten Kriterien für wesentlich an. Es erweist sich
jedoch in der Gesetzgebung und im Vollzug als sehr schwierig bis unmöglich,
Kriterien wie das Fassungsvermögen und die erlaubten Stunden des Verweilens
normativ zuverlässig und in der behördlichen Praxis kontrollierbar zu
erfassen. Der Regierungsrat hat daher zum Mittel der Längenbegrenzung
gegriffen, nicht um ihrer selbst willen, sondern um damit indirekt das
Fassungsvermögen der Boote und die Aufenthaltsdauer zu limitieren. Von der
Länge des Bootes hängen in der Tat das Fassungsvermögen und die übrigen
Faktoren weitgehend ab, die ein Boot wohnlich machen und zum Verweilen
einladen. Der Regierungsrat weist insbesondere noch auf die Stehhöhe
hin, deren Ausmass für die Bewohnbarkeit eines Bootes von besonderer
Bedeutung ist, ihrerseits aber konstruktiv durch die Länge des Bootes
begrenzt wird. Die Bootslänge stellt hier in der Tat ein zuverlässiges und
behördlich leicht feststellbares Konstruktionsmerkmal dar; sie bestimmt
indirekt das Volumen des Bootes und seine Wohnlichkeit. Sie deckt sich
- wie der von den Beschwerdeführern gezogene Vergleich zwischen der
"Amphora" und der "County" zeigt - zwar nicht immer mit dem Grad der
Bewohnbarkeit. Ein gewisser Schematismus ist jedoch unvermeidlich.
Die möglichen Schwankungen sind zudem naturgemäss relativ gering. Man
kann zur Erzielung grösseren Wohnraumes ein kurzes Boot nicht unbeschränkt
breit und hoch konstruieren, weil es dann umso plumper, schwerfälliger und
langsamer wird. Ein Boot von nicht mehr als 5,5 m Länge ist für Wohnzwecke
- konstruktive Besonderheiten hin oder her - wenig verlockend. Es ist
schliesslich müssig, Boote von 5,49 m und 5,51 m Länge miteinander zu
vergleichen; durch das Verbot betroffen wird das ganze Sortiment von 5,51
bis 10 m und mehr.

    e) Die Beschwerdeführer wenden ein, die Längenbegrenzung sei nicht mehr
nötig, nachdem Boote mit Wohn- und Schlafeinrichtungen ohnehin schon durch
§ 16 VO verboten sind. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die durch die
Längenbegrenzung beabsichtigte Bootsraumbeschränkung diejenigen grösseren
Kajütboote erfassen will, die keine feste und ständige Inneneinrichtung
zu Wohn- und Schlafzwecken aufweisen. Die Ergänzung ist sinnvoll. Denn
diese Boote können unschwer mit transportablem Inventar (Luftmatratzen,
Camping-Utensilien usw.) bewohnbar gemacht und nachher wieder abgeräumt
werden. Dadurch aber würde der Zweck der Verordnung vereitelt. Eine
polizeiliche Kontrolle, ob ein Boot faktisch zu Wohn- oder Schlafzwecken
benutzt wird, wäre praktisch nicht durchführbar.

    f) Die Beschwerdeführer wenden schliesslich ein, das Verbot sei
deshalb rechtsungleich und ungerecht, weil es grosse Boote ohne Kajüte
nicht erfasst. Der Regierungsrat weist demgegenüber darauf hin, dass es
auf dem Sempachersee zwar einige offene Boote gebe, welche die Länge von
5,5 m überschreiten; sie eigneten sich aber mangels einer Kabine nicht
zu Wohn- und Schlafzwecken. Die Verordnung habe daher nicht die Länge
der Boote schlechthin begrenzen wollen. - Die Ungleichbehandlung ist
somit nicht unsachgemäss und sinnlos. Sie lässt sich vernünftig damit
begründen, dass offene Boote eben wegen ihres Mangels an Wetterschutz
nicht zu längerem Verweilen und damit zur Seeverschmutzung geeignet sind.

Erwägung 3

    3.- Es kann danach nicht mit Recht gesagt werden, die angefochtene
Bestimmung könne sich auf keine ernsthaften sachlichen Gründe stützen
oder sie treffe Unterscheidungen, für die ein vernünftiger Grund in den
tatsächlichen Verhältnissen nicht ersichtlich ist. Die Rüge der Willkür
und der rechtsungleichen Behandlung erweist sich somit als unbegründet.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.