Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IA 32



100 Ia 32

6. Auszug aus dem Urteil vom 3. April 1974 i.S. Romann gegen Staat Zürich
und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Regeste

    Verfahren. Kantonale Gebäudeversicherung. Willkür. Art. 86 OG,
Art. 4 BV.

    Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges; die Revision nach den §§
67 ff. des Zürcher Verwaltungsrechtspflegegesetzes als ausserordentliches
kantonales Rechtsmittel (Erw. 2).

    Ein völliger Haftungsausschluss kann dem Sinn eines
Gebäudeversicherungsgesetzes nicht entsprechen (Erw. 3 a).

    Willkürliche Gesetzesauslegung (Erw. 3 b und c).

Sachverhalt

    A. - Nach § 10 Abs. 1 des zürcherischen Gesetzes über die
Gebäudeversicherung vergütet die Anstalt Schäden, die an den Gebäuden
durch Hochwasser infolge von Niederschlägen, durch Hagel, Sturm,
Schneedruck, Rutschungen, Steinschlag und Erdbeben verursacht werden,
wenn diese Beschädigungen für den Gebäudeeigentümer nicht voraussehbar
und unabwendbar waren.

    Beat Romann, Eigentümer des Hauses Hohlstrasse 415 in
Zürich-Altstetten, begann im Frühjahr 1972 mit dem Umbau des Gebäudes,
das um drei Geschosse aufgestockt werden sollte. Am 20. Juli 1972
drang bei einem schweren Gewitter Wasser in das Gebäude ein. Es
entstanden Schäden in den Obergeschossen und im Untergeschoss. Die
Direktion des Innern des Kantons Zürich entschied am 4. Oktober 1972,
die Gebäudeversicherungsanstalt habe Romann an die Schäden, die wegen
des Überlaufs der Kanalisation im Untergeschoss entstanden waren, einen
Betrag von rund Fr. 3000.-- zu bezahlen. Die Übernahme einer weitern
Entschädigung lehnte sie ab.

    Romann verlangte hierauf mit Klage beim Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich, die Gebäudeversicherungsanstalt sei zu verpflichten, ihm
die in den Obergeschossen durch das Eindringen von Wasser entstandenen
Schäden zu vergüten. Das Verwaltungsgericht beschloss am 15. Mai 1973,
von Architekt Schenk in Zürich eine Expertise einzuholen über die Fragen,
ob die von der Bauleitung bzw. dem Bauunternehmer zum Schutz gegen Wasser
getroffenen Massnahmen der beruflich gebotenen Sorgfaltspflicht entsprochen
haben und welchen Kostenaufwand bauliche Vorkehren erfordert hätten,
die den Wasserschaden vom 20. Juli 1972 voraussichtlich hätten vermeiden
lassen. Am 22. November 1973 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab.

    B.- Beat Romann verlangt mit staatsrechtlicher Beschwerde gestützt auf
Art. 4 BV, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben, es sei ihm
der durch das Unwetter entstandene Schaden zu vergüten, eventuell sei die
Sache zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Die
Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit nötig, aus den folgenden
Erwägungen.

    C.- Das Verwaltungsgericht und die Direktion des Innern des Kantons
Zürich beantragen, es sei die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- ... Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4
BV ist erst zulässig, nachdem von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch
gemacht worden ist. Dazu gehört nach ständiger Rechtsprechung auch
die Ergreifung der ausserordentlichen kantonalen Rechtsmittel, sofern
damit die gerügte Verfassungsverletzung geltend gemacht werden kann. Ein
solches Rechtsmittel ist die Revision, falls sie als Kassationsbeschwerde
dient, und zwar auch dann, wenn sie bei der gleichen Instanz zu verlangen
ist, die den angefochtenen Entscheid gefällt hat. Gegen die Urteile des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich ist die Revision zulässig gemäss den
§§ 67 ff. des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 (VRG). §
67 VRG kennt vier Revisionsgründe, nämlich die Verletzung wesentlicher
Verfahrensvorschriften und die versehentliche Nichtberücksichtigung
erheblicher Tatsachen (lit. a und b), ferner die verbrecherische Einwirkung
auf den Entscheid und die Entdeckung neuer Tatsachen und Beweismittel
(lit. c und d). Die beiden ersten Revisionsgründe richten sich gegen
Mängel des Verfahrens, sind ihrem Wesen nach Kassationsgründe und schützen
zudem den gleichen Anspruch auf rechtliches Gehör wie der Art. 4 BV. Die
Revision gemäss § 67 lit. a und b VRG ersetzt insofern die Kassations- oder
Nichtigkeitsbeschwerde und stellt daher ein ausserordentliches kantonales
Rechtsmittel dar, das vor der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung
des Art. 4 BV zu ergreifen ist. Mit der Rüge der Verweigerung des
rechtlichen Gehörs macht der Beschwerdeführer die Verletzung wesentlicher
Verfahrensvorschriften und damit den Revisionsgrund des § 67 lit. a VRG
geltend. Da er es unterlassen hat, beim Verwaltungsgericht auf Grund
dieser Bestimmung innert 30 Tagen nach der Eröffnung des angefochtenen
Entscheids (§ 68 Abs. 1 VRG) dessen Revision zu verlangen, hat er den
kantonalen Instanzenzug nicht erschöpft und es ist daher auf diese Rüge
nicht einzutreten (nichtveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom
8.10.1969 i.S. Seehalden-Immobilien AG, Erw. 1).

Erwägung 3

    3.- Nach § 10 des Gebäudeversicherungsgesetzes werden die durch
bestimmte Elementarereignisse entstandenen Schäden vergütet, wenn sie
für den Gebäudeeigentümer nicht voraussehbar und unabwendbar waren. Das
Verwaltungsgericht liess die Frage offen, ob der entstandene Schaden
voraussehbar war, da es annahm, er sei abwendbar gewesen. Es fasste den
Begriff "unabwendbar" objektiv auf: es sei hier gleichgültig, ob Bauleiter
und Bauunternehmer ihre berufliche Sorgfaltspflicht erfüllt hätten und
wie hoch die Kosten für die Abwendung der Schäden gewesen wären.

    a) Diese Auslegung des Gesetzes lässt sich mit sachlichen Gründen nicht
vertreten. Beim heutigen Stand der Technik können Wasserschäden praktisch
stets abgewendet werden. Man kann mit ganz aussergewöhnlichem Aufwand
ein Gebäude so konstruieren, dass es selbst bei Niederschlägen, wie sie
in der Schweiz kaum auftreten, praktisch keinen Schaden erleiden kann.
Spielt es für den Entscheid über die Frage der Abwendbarkeit überhaupt
keine Rolle, ob der Schaden voraussehbar war, ob die Verantwortlichen
alle Sorgfaltspflicht angewendet haben und welche Kosten für die
Abwendung des Schadens hätten aufgewendet werden müssen, so wird die
Gebäudeversicherungsanstalt kaum je Vergütungen für Wasserschäden
auszurichten haben. Ein praktisch völliger Haftungsausschluss
kann aber offensichtlich nicht dem Sinn des Gesetzes entsprechen
(nichtveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 28.3.1973 i.S. Python
gegen Gebäudeversicherungsanstalt Freiburg, S. 5).

    b) Falls ein Schaden objektiv abwendbar ist, entfällt nach Ansicht des
Verwaltungsgerichts eine Vergütung selbst dann, wenn die Beschädigung des
Gebäudes für den Eigentümer nicht voraussehbar war. Eine Begründung für
diese Auslegung gibt das Gericht nicht. Es hätte sich indessen mit der
Frage auseinandersetzen müssen, ob eine Vergütung nur dann entfällt, wenn
die Beschädigungen für den Gebäudeeigentümer voraussehbar und abwendbar
waren, denn der Wortlaut von § 10 Abs. 1 legt diese Annahme nahe. Die
beiden Begriffe "nicht voraussehbar" und "unabwendbar" sind miteinander
verbunden und aufeinander bezogen. Jeder reicht für sich allein nicht
aus, sondern muss mit Hilfe des andern ausgelegt werden. Indem das
Verwaltungsgericht den einen Begriff verabsolutierte und ohne jede
Begründung davon ausging, bei objektiver Abwendbarkeit komme es auf die
Vorhersehbarkeit überhaupt nicht an, verstiess es gegen Art. 4 BV.

    c) Das Verwaltungsgericht führte aus, die Abwendbarkeit sei ein
objektiver Begriff. Es genüge nicht, dass die für das Haus Verantwortlichen
das getan hätten, was ihnen nach ihren subjektiven Verhältnissen zuzumuten
gewesen sei, um einen Schaden, wie er eintrat, abzuwenden. Das Gericht
stützte sich dabei auf sein eigenes Urteil vom 20. Mai 1966 (ZBl 67,
1966, S. 405). Aus dessen Erwägungen ist aber zu schliessen, dass das
Gericht in jenem Fall annahm, sofern der Handwerker die berufsüblichen
Sorgfaltspflichten erfüllt habe, sei der Schaden zu vergüten. Wenn
das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil demgegenüber ausführt,
auf die Erfüllung der beruflichen Sorgfaltspflicht komme nichts an,
so scheint das mit der genannten Erwägung des Präjudizes keineswegs
übereinzustimmen. Das Verwaltungsgericht stellte denn auch an den Experten
die beiden Fragen, ob die von der Bauleitung bzw. dem Bauunternehmer
zum Schutz gegen Wasser getroffenen Massnahmen der beruflich gebotenen
Sorgfaltspflicht entsprochen und welchen Kostenaufwand bauliche Vorkehren
erfordert hätten, die den Wasserschaden vom 20. Juli 1972 voraussichtlich
hätten vermeiden lassen. Im angefochtenen Urteil bezeichnete es diese
Expertenfragen als zu weit gefasst und führte aus, der Beschluss über
die Experteninstruktion habe sein Urteil nicht präjudizieren können. In
Wirklichkeit waren die Expertenfragen - wenn von der Rechtsauffassung
des angefochtenen Urteils ausgegangen wird - nicht nur zu weit gefasst,
sondern überflüssig. Es ist klar, dass das Verwaltungsgericht bei seinem
Beschluss über die Experteninstruktion davon ausging, berufliche Sorgfalt
und Kostenaufwand seien von Bedeutung, während es die beiden Elemente in
seinem Urteil mit einer Begründung als unmassgeblich erklärte, die nicht
haltbar ist und mit seiner eigenen frühern Praxis nicht übereinstimmt.

    Nach § 10 Abs. 1 des Gebäudeversicherungsgesetzes soll offenbar dann
eine Vergütung geleistet werden, wenn der Eigentümer bzw. Bauunternehmer
im Hinblick auf ein Elementarereignis, mit dem zu rechnen war, die
Vorsichtsmassregeln getroffen hat, die von einem sorgfältigen Eigentümer
und Unternehmer zu erwarten und ihm zuzumuten sind. Auf jeden Fall lässt
sich das angefochten Urteil, das ohne Rücksicht auf die Voraussehbarkeit,
auf die vom Eigentümer bzw. Bauunternehmer angewendete Sorgfalt und auf die
Kosten für die Abwendung allfälliger Gefahren die Vergütung ausschliesst,
vor Art. 4 BV nicht halten, weshalb es aufzuheben ist.