Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IA 300



100 Ia 300

43. Beschluss der I. Zivilabteilung vom 3. September 1974 i.S. Arboreta
AG gegen Union générale des pétroles (Suisse) SA und Kassationsgericht
des Kantons Zürich. Regeste

    Einstellung des Verfahrens bei Konkurs. Nach Art. 207 Abs. 1 SchKG
sind nicht nur Zivilprozesse, sondern auch damit zusammenhängende
Beschwerdeverfahren einzustellen, wenn sie die seit Konkurseröffnung
bestehende materielle Rechtslage verändern können.

Sachverhalt

    A.- Das Handelsgericht des Kantons Zürich verpflichtete die Arboreta
AG durch Urteil vom 24. August 1972, der Union générale des pétroles
(Suisse) SA Fr. 1 107 120.75 nebst 5% Zins seit 1. Januar 1969 zu bezahlen.

    Die Arboreta AG hat gegen dieses Urteil die Berufung an das
Bundesgericht erklärt und zudem beim Kassationsgericht des Kantons Zürich
Nichtigkeitsbeschwerde erhoben.

    Der Präsident des Kassationsgerichtes setzte der Arboreta AG Frist
zur Leistung von Fr. 35 000.-- Prozesskaution, die er am 28 November 1972
auf Fr. 25 000.-- herabsetzte. Die Frist wurde wiederholt erstreckt,
letztmals bis 12. März 1973. Am 9. März 1973 ersuchte die Arboreta
AG um eine weitere Erstreckung von 20 Tagen, da ihr geschäftsführender
Verwaltungsrat sich auf unbestimmte Zeit in Untersuchungshaft befinde
und das zweite Mitglied des Verwaltungsrates gestorben sei.

    Durch Beschluss vom 9. April 1973 lehnte das Kassationsgericht eine
weitere Erstreckung der Frist ab und trat auf die Nichtigkeitsbeschwerde
nicht ein. Es fügte bei, dass die Beschwerde abgewiesen werden müsste,
wenn darauf einzutreten wäre.

    B.- Die Arboreta AG führt gegen diesen Beschluss staatsrechtliche
Beschwerde mit dem Antrag, ihn aufzuheben und das Kassationsgericht
anzuweisen, der Beschwerdeführerin für die Leistung der Kaution eine
neue Frist anzusetzen; eventuell habe es die der Beschwerdegegnerin
zugesprochene Prozessentschädigung von Fr. 20 000.-- wesentlich
herabzusetzen.

    Als über die Arboreta AG der Konkurs eröffnet wurde, stellte
das Bundesgericht nicht nur das Berufungs-, sondern auch das
Beschwerdeverfahren gemäss Art. 207 SchKG ein. Die Konkurseröffnung
wurde in der Folge von der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichtes wegen rechtswidriger Zustellung der Konkursandrohung
aufgehoben. Die Arboreta AG ersuchte hierauf um Bewilligung einer
Nachlassstundung, die ihr von allen Instanzen verweigert wurde. Dies
führte am 8. März 1974 zur Konkurseröffnung, welche die Arboreta AG
umsonst anzufechten suchte.

    C.- Mit Eingabe vom 14. August 1974 ersucht der a.o.  Konkursverwalter
das Bundesgericht, die staatsrechtliche Beschwerde zu beurteilen, da
die beiden beim Bundesgericht hängigen Rechtsmittelverfahren eingestellt
worden seien, "bis über den Nachlass entschieden werde".

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 207 SchKG sind nach der Konkurseröffnung Zivilprozesse,
in denen der Gemeinschuldner Kläger oder Beklagter ist, von Gesetzes
wegen einzustellen; sie können erst zehn Tage nach der zweiten
Gläubigerversammlung, die über ihre Fortführung zu entscheiden hat,
wieder aufgenommen werden. Ausgenommen sind dringliche Fälle (Abs. 1)
sowie die vom Gesetz ausdrücklich erwähnten Prozesse (Abs. 2).

    Der Konkursverwalter macht nicht geltend, es liege hier ein solcher
Ausnahmefall vor; er scheint vielmehr selber der Auffassung zu sein, dass
das beim Bundesgericht hängige Berufungsverfahren eingestellt bleiben muss.
Bezüglich der staatsrechtlichen Beschwerde ist er dagegen offenbar der
Meinung, Beschwerdeverfahren gehörten nicht zu den Zivilprozessen im
Sinne von Art. 207 SchKG, seien folglich weiterzuführen, wenn über die
Konkurseröffnung rechtskräftig entschieden worden sei.

    Nach der Konkurseröffnung darf der Gemeinschuldner über sein
Vermögen, soweit es zur Konkursmasse gehört, nicht mehr verfügen. Mit
der Konkurseröffnung fallen aber auch alle gegen den Gemeinschuldner
anhängigen Betreibungen dahin, und neue können während der Dauer des
Konkursverfahrens nicht angehoben werden (Art. 206 SchKG). Im einen wie im
anderen Falle wird seine Befugnis aufgehoben, sich als Partei an Verfahren,
die zur Masse gehörende Rechte betreffen, zu beteiligen.

    Aus diesen Überlegungen müssen auch Beschwerdeverfahren, die
mit Zivilprozessen zusammenhängen, bis zehn Tage nach der zweiten
Gläubigerversammlung eingestellt bleiben. Der vorliegende Fall zeigt dies
deutlich. Sollte die Beschwerde im Hauptbegehren gutgeheissen werden,
so müsste das Kassationsgericht eine neue Frist für die Kautionsleistung
ansetzen. Damit wäre nicht nur der Weg für eine materielle Beurteilung
der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde, sondern auch für eine Aufhebung
des handelsgerichtlichen Urteils grundsätzlich offen, sofern das
Kassationsgericht nicht seinerseits Art. 207 SchKG anwenden würde. Das
Handelsgericht müsste diese Bestimmung auf jeden Fall beachten, weshalb
im Ergebnis nichts gewonnen würde. Ist die Beschwerde dagegen abzuweisen,
so steht der Gegenpartei für das Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht eine
Entschädigung zu, die sie höchstens als Konkursforderung anmelden könnte,
da der Beschluss der zweiten Gläubigerversammlung über eine allfällige
Fortführung des Prozesses noch aussteht, es sich also nicht um einen
Prozess der Konkursmasse handelt.

Erwägung 2

    2.- Die in Art. 207 SchKG vorgesehenen Ausnahmefälle, in denen das
Verfahren nicht einzustellen ist, dürfen nicht zur Annahme verleiten,
dass alle Verfahren, die nicht Zivilprozesse im technischen Sinne
sind, weitergeführt werden müssten. Zu diesen Prozessen sind vielmehr
insbesondere auch Beschwerdeverfahren zu rechnen, die mit ihnen
zusammenhängen und die auf eine Veränderung der Rechtslage abzielen, in
der sich das Zivilverfahren zur Zeit der Konkurseröffnung befindet. Dass
nach Bundesrecht kantonale Entscheide mit verschiedenen Rechtsmitteln
angefochten werden können, steht dem selbst dann nicht entgegen, wenn wie
im vorliegenden Fall nicht nur das Sachurteil, sondern auch ein kantonaler
Beschwerdeentscheid an das Bundesgericht weitergezogen wird. Es genügt,
dass zur Masse gehörende Rechte berührt werden und die Gutheissung des
Rechtsmittels die seit Konkurseröffnung bestehende materielle Rechtslage
verändern könnte. Ist diese Möglichkeit gegeben, so sind alle Verfahren,
die infolge eines Zivilprozesses entstehen, nach der Konkurseröffnung im
Sinne von Art. 207 SchKG von Gesetzes wegen einzustellen.

Entscheid:

Demnach beschliesst das Bundesgericht:

    Das Beschwerdeverfahren i.S. Arboreta AG gegen Union générale des
pétroles (Suisse) SA bleibt weiterhin in Anwendung von Art. 207 SchKG
eingestellt.