Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IA 294



100 Ia 294

41. Auszug ans dem Urteil vom 20. Juni 1974 i.S. Hörler gegen
Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh. Regeste

    Art. 84 und 89 OG; staatsrechtliche Beschwerde gegen
Vollzugsmassnahmen.

    1.  Richtet sich die staatsrechtliche Beschwerde gegen eine
Einzelverfügung, die ihrerseits auf einer früheren Einzelverfügung beruht
und diese vollzieht oder bestätigt, so kann die staatsrechtliche Beschwerde
nicht mit einer Verfassungswidrigkeit der ftüheren Verfügung begründet
werden, es sei denn, es stehe ein unverzichtbares und unverjährbares
Verfassungsrecht in Frage (Bestätigung der Rechtsprechung).

    2.  Im Bereiche der Handels- und Gewerbefreiheit liegt ein solcher
Ausnahmefall nicht vor (Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Nachdem Jakob Hörler schon früher im Gemeindegebiet von
Wasserauen aufgrund einer befristeten Ausbeutungsbewilligung unter
gewissen einschränkenden Auflagen eine Kiesgrube betrieben hatte, wobei
es wiederholt zu Beanstandungen und Einsprachen gekommen war, erteilte
die Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh. ihm am 17. Juli 1972
erneut eine provisorische Ausbeutungsbewilligung. Darin wurde unter
anderem folgendes bestimmt:

    "Die Abfuhr von Kies ist nur mit Fahrzeugen und Chauffeuren von Jakob
Hörler gestattet. Zudem ist sorgfältig zu laden und zu fahren. Falls
Kies von Fahrzeugen, die nicht Hörler gehören, oder von Chauffeuren,
welche nicht von Jakob Hörler angestellt sind, abgeführt wird, ist Jakob
Hörler für jede festgestellte Übertretung mit Fr. 300.-- zu büssen."

    Die Kantonspolizei, die mit der Überwachung beauftragt wurde,
verzeigte Hörler am 25. Juli, am 3. Oktober und am 29. November 1972
wegen Abfuhren mit betriebsfremden Fahrzeugen. Dessen ungeachtet erteilte
die Standeskommission Hörler am 14. Mai 1973 - wiederum unter gewissen
einschränkenden Auflagen - eine definitive Ausbeutungsbewilligung bis Ende
1977, auferlegte ihm aber am 5. Juni 1973 gestützt auf ihren Beschluss vom
17. Juli 1972 drei Bussen von je Fr. 300.-- wegen Übertretung der Auflage,
Kies nur mit betriebseigenen Fahrzeugen und Chauffeuren abzuführen.

    B.- Hiegegen führt Hörler staatsrechtliche Beschwerde an das
Bundesgericht mit dem Antrag, die angefochtene Bussenverfügung der
Standeskommission vom 5. Juni 1973 wegen Verletzung der Handels- und
Gewerbefreiheit (Art. 31 BV) aufzuheben. Er macht unter anderem geltend,
die Bussenverfügung sanktioniere einen Eingriff in die verfassungsmässig
garantierte Handels- und Gewerbefreiheit und sei daher noch anfechtbar,
auch wenn die damalige Verfassungsverletzung nicht gerügt wurde. Die
Handels- und Gewerbefreiheit könne durch kantonale Verfügungen nur zum
Schutz von Polizeigütern eingeschränkt werden. Die Kiesabfuhr durch
betriebsfremde Fahrzeuge berühre weder die öffentliche Sittlichkeit, die
öffentliche Gesundheit noch Treu und Glauben im Geschäftsverkehr oder die
öffentliche Ruhe und Ordnung. Zudem komme es weder für die Lärmentwicklung
noch für die Verkehrssicherheit darauf an, ob Kies durch betriebseigene
oder betriebsfremde Fahrzeuge abgeführt werde. Die Verfügung vom 17. Juli
1972 sei daher verfassungswidrig und folglich könne auch die sich darauf
stützende Bussenverfügung vom 5. Juni 1973 nicht aufrechterhalten werden.

    C.- Die Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh.  beantragt die
Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Die vorliegende Beschwerde wird ausschliesslich damit begründet,
dass die Auflage, Kies nur mit betriebseigenen Fahrzeugen und durch
betriebseigene Chauffeure abführen zu lassen, gegen die Handels- und
Gewerbefreiheit verstosse. Der Beschwerdeführer räumt ein, dass er die
provisorische Ausbeutungsbewilligung vom 17. Juli 1972, welche diese
Auflage nebst Strafandrohung enthielt, nicht angefochten habe, doch glaubt
er, die Bussenverfügung gleichwohl anfechten zu können.

    a) Richtet sich die staatsrechtliche Beschwerde gegen eine
Einzelverfügung, die in Vollziehung eines generellen Erlasses ergangen
ist, so kann mit ihr nachträglich auch noch die Verfassungswidrigkeit des
grundlegenden Erlasses gerügt werden (BGE 97 I 29, 334, 780). Richtet sie
sich jedoch gegen eine Einzelverfügung, die ihrerseits auf einer früheren
Einzelverfügung beruht und diese vollzieht oder bestätigt, so kann die
staatsrechtliche Beschwerde nicht mehr mit einer Verfassungswidrigkeit
der früheren Verfügung begründet werden, es sei denn es stehe ein
unverzichtbares und unverjährbares Verfassungsrecht in Frage (BGE 88 I
265, 93 I 351, 97 I 916; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 503). Ein
derartiger Ausnahmefall liegt jedoch nach der Rechtsprechung im Bereich der
Handels- und Gewerbefreiheit nicht vor (BGE 88 I 271, 93 I 351, 97 I 916).

    b) Die angefochtene Bussenverfügung erging wegen Missachtung der
früheren Auflage und vollzog diese durch Ausfällung der dafür angedrohten
Strafe. Anders als früher stützte sich die Standeskommission dabei
nicht mehr auf Art. 292 StGB, wofür es grundsätzlich auch eines
ausdrücklichen Hinweises auf die Strafdrohung dieser Bestimmung
bedurft hätte (BGE 86 IV 28, 95 II 460). Angedroht wurde vielmehr eine
Verwaltungsstrafe, wie sie zu den gebräuchlichen Vollzugsmassnahmen des
Verwaltungsrechts gehört (GRISEL, aaO S. 333 ff.; GIACOMETTI, Allgemeine
Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S. 531 ff.; vgl. auch die
Aufzählung in Art. 41 lit. c/d VwG und den Vorbehalt in Art. 335 Ziff. 1
Abs. 2 StGB). Um eine Konventionalstrafe, wie sie die Standeskommission
offenbar beabsichtigte, konnte es sich nicht handeln, da diese nur in einem
verwaltungsrechtlichen Vertrag möglich wäre (GRISEL, aaO S. 226), während
hier eine Verwaltungsverfügung in Form einer Polizeierlaubnis vorlag; eine
Konzession, mit welcher das Gemeinwesen eine ihm selbst zustehende Befugnis
einem Privaten einräumt, stellt eine Kiesausbeutungsbewilligung auf einem
privaten Grundstück nicht dar; deshalb kann dahingestellt bleiben, wieweit
eine solche vertragsähnlichen Charakter hätte und die Vereinbarung einer
Konventionalstrafe zuliesse (vgl. GRISEL, aaO S. 143 ff.; GIACOMETTI,
aaO S. 352 f.). Im übrigen vermöchte das nichts daran zu ändern, dass
wie bei einer Verwaltungsstrafe die Strafandrohung (BGE 88 I 270) und
ebenso die Geldstrafe selbst (BGE 97 I 917) eine Vollstreckungsmassnahme
im Sinne der genannten Rechtsprechung darstellt, die nicht mehr mit der
Rüge einer Verfassungswidrigkeit der früheren grundlegenden Verfügung
angefochten werden kann. Wenn die jüngste Rechtsprechung zu Art. 292
StGB eine weitergehende Befugnis des Strafrichters zur materiellen
Prüfung der vorangegangenen Verwaltungsverfügung anerkennt (BGE 98 IV
108 gegenüber noch 90 IV 81 und dortigen Hinweisen), kann daraus nichts
anderes hergeleitet werden, weil diese Bestimmung hier nicht angewandt
wurde und weil die Kognition des Strafrichters gegenüber Verwaltungsakten
die Frage nicht berührt, wie es sich hinsichtlich der Anfechtbarkeit
durch staatsrechtliche Beschwerde verhält.

Erwägung 3

    3.- Da der Beschwerdeführer es versäumt hat, die behauptete
Verfassungswidrigkeit der ihm gemachten Auflage bereits im Anschluss an
die Verfügung der Standeskommission vom 17. Juli 1972 geltend zu machen,
kann er dies mit der vorliegenden Beschwerde gegen die Bussenverfügung
nicht mehr nachholen. Dass diese ihrerseits selbständig aus anderen
Gründen verfassungswidrig sei, wird nicht behauptet. Auf die Beschwerde
ist daher nicht einzutreten. Damit braucht auch nicht untersucht zu
werden, ob die seinerzeitige Auflage vor der Handels- und Gewerbefreiheit
standhielt, ob sie eine ausreichende gesetzliche Grundlage besass und
nicht unverhältnismässig war.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.